Neuland
Packen, mit dem sie erst spät begannen, weil Roni bei der Arbeit aufgehalten worden war; es hatte bis neun Uhr abends am Donnerstag gedauert. Wozu der Stress, dann fahren wir eben erst morgen, hatte er vorgeschlagen. Doch sie hatte darauf beharrt: Wir haben für die Nacht schon bezahlt, willst du tausend Schekel einfach so wegwerfen? Neta schlief natürlich eine Minute, nachdem sie losgefahren waren, schon ein, und später, als sie das Ferienzimmer erreichten – es war sehr viel kleiner als auf den Bildern im Internet, und zwischen dem Kinderzimmer und dem anderen Zimmer gab es keine Trennwand, womit sich die ohnehin sehr geringe Chance, dass sie miteinander schlafen könnten, zerschlug –, da wachte er auf und ließ sie die ganze Nacht über kein Auge mehr zumachen, und am nächsten Tag war er müde und weinte dauernd, schon bei Kleinigkeiten, und trieb einen Keil zwischen sie, indem er darauf bestand, dass »nur Papa« ihn auf den Arm nehmen, und »nur Mama« mit ihm Pipi machen gehen dürfe, und er wollte immer nur noch mehr Erdnussflips, was bei ihnen das umstrittene Knusperzeug war, welches Dori für das denkbar größte und Roni für das kleinere Übel hielt, und später in dem Restaurant mit den niedrigen Tischen hatte er sie total blamiert, da waren nur junge, frische Paare, die sich ganz entspannt unterhielten, Pumphosen trugen und so aussahen, als hätten sie gerade dreimal hintereinander gefickt und als tränken sie jetzt den Tschai danach und hätten Mitleid mit dieser Familie am entfernteren Tisch, deren Kind seinen eigenen Rotz schluckte und mit Messer und Gabel auf den Tisch hämmerte, die Zuckertütchen mit den Zähnen aufriss, bis alles voll Zuckerkörner war, der muss irgendein Problem haben, sagten sie sich, irgendwas im Gehirn, vielleicht vererbt, denn auch diese Eltern sehen ein bisschen gestört aus, mit zerzausten Augenbrauen und gerupfter Seele.
Am nächsten Tag waren sie gleich nach dem Frühstück aus dem Ferienzimmer geflohen, ließen die Wanderung auf dem Israel-Trail ausfallen, vorgeblich, um den Staus zuvorzukommen, in Wirklichkeit aber, um Schaden zu begrenzen. Kurz vor Sichron Yaakov begann es zu regnen, darüber freuten sie sich, dann hatten sie ja doch nichts verpasst, und danach wölbte sich vor ihnen ein traumhafter Regenbogen. Siehst du, fragten sie Neta, und der nickte und zählte alle Farben auf, und sein schönes Lächeln breitete sich über sein schönes Gesicht, und ein bisschen später schlief er ruhig ein, und bis zum Autobahnkreuz Chavazelet waren sie eine intakte Familie .
Doch beim Autobahnkreuz Chavazelet rief Jahelis Mutter an und teilte mit, der Junge werde Neta doch nicht, wie verabredet, besuchen kommen – was ihr Vorwand gewesen war, daran erinnert er sich nicht mehr, ein Magenvirus, eine Großmutter in Gips. Eltern erfanden immer wieder die unglaublichsten Dinge, um ihnen nicht die bittere Wahrheit sagen zu müssen: dass ihre Kinder Neta nicht besuchen wollten.
Etwas von Netas Bedürftigkeit schreckt sie ab, vermutete er, als Roni das Gespräch beendet hatte.
Ach was, Bedürftigkeit, sagte Roni. Wie würdest du es nennen?
Ich weiß nicht. Uns ermüdet er, dann ermüdet er vielleicht auch andere. Ich weiß nicht.
Dann sollten wir uns vielleicht mit jemandem beraten, der etwas davon versteht, schlug er vor, wohl wissend, dass sie nicht zustimmen würde. Das eine und einzige Mal, als Roni bei einem Psychologen gewesen war, hatte sie das (vermutlich berechtigte) Gefühl, dass er mit ihr anbandeln wollte, und seitdem erschien ihr die ganze Berufsgruppe verdächtig.
In Ordnung, sagte sie zu Doris Überraschung. Unter der Voraussetzung, dass es eine Frau ist. Und ich möchte mit ihr über die Bezahlung reden, damit sie uns nicht total ausbluten lässt.
Als er sich das erste Treffen vorstellte, war ihm klar gewesen,Roni würde zu spät kommen, und dann würde das Gespräch natürlich dahin führen, dass sie nicht genügend zu Hause war, was dem Kind schadete, und er könnte sich ruhig zurücklehnen, in einen Sessel, der bestimmt ein schwarzer Ledersessel sein würde, mit dem Gefühl »das hab ich dir doch immer schon gesagt«. Aber Roni war ausnahmsweise pünktlich gewesen, und das Gespräch begann mit einer allgemeinen Besprechung ihrer Lebensweise, die Psychologin sagte: Zuerst möchte ich Ihren Alltag kennenlernen, erst danach kann ich etwas sagen. Aus irgendeinem Grund konzentrierte sich die Unterhaltung auf ihn und auf seine Zubettgehzeremonie mit Neta,
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