Neuland
kleingläubig. Wenn er so ein toller Hecht ist, warum gibt er sich dann mit Goldfischchen wie mir ab?
Keine Ahnung, sagt Roni schulterzuckend am Telefon. Frag ihn doch, vielleicht hat er irgendein persönliches Interesse an deiner Geschichte.
Ich sehne mich nach dir, sagt er.
Roni schweigt. Schon zu Anfang, in ihren ersten Monaten, hatte sie ihm erklärt, sie habe keine Begabung für Sehnsucht, das dürfe ihn nicht kränken. So sei das mit Leuten, die den Kibbuz überlebt haben. Wenn du die ganze Nacht im Kinderhaus »Mama, Mama« schreist, und keiner kommt … ich weiß nicht … dann geht wohl irgendwie der Mechanismus der Sehnsucht kaputt. Und er hatte gesagt: Aber ich, ich sehne mich, für mich ist das ein integraler Bestandteil von Liebe, und den möchte ich auch nicht unterdrücken. Dann unterdrück ihn nicht, hatte sie vorgeschlagen, sag, was du sagen willst, nur sei nicht beleidigt, wenn ich es nicht erwidere.
Das ist schon in Ordnung, hatte er damals gesagt. Unglaublich, wie die grundlegenden Bedingungen, die zentralen Paragraphen jedes Beziehungsvertrages, in den ersten Monaten geschrieben werden, und wie schwer es ist, danach noch etwas an ihnen zu ändern. Genauso wie ihre Namen, die sie beim Einzug in ihre erste gemeinsame Wohnung in der Shabazi Straße, beim Renovieren in den Gips geschrieben haben, dort immer noch stehen. Obwohl diese ganze Gegend inzwischen ultraorthodox geworden ist, und diese Liebeserklärung mit dem Herz und den Pfeilen wohl nicht zu den Jeschiwastudenten passt, die sie heute anschauen.
Ist Neta da?, fragt er.
Ja, sagt sie, aber …
Versuch es doch, fleht er sie geradezu an.
Dann einige Sekunden Stille, leises Murmeln, das auf diese Entfernung schwer zu verstehen ist, und dann –
Er will nicht.
Ein Schmerz sticht in seinem Zwerchfell. Sag ihm, dass ich ihn nur etwas wegen des Geschenks fragen will.
Genug, Dori.
Sag’s ihm.
Dann herrscht Stille, etwas kürzer. Und wieder: Tut mir leid, er mag … er schaut grad Fernsehn.
Wieso schaut er denn plötzlich vormittags fern?
Na komm schon, Dori, du hast mich hier mit dem Jungen allein gelassen, dann sag mir jetzt nicht, was ich zu tun habe.
Schon seit ein paar Tagen weigert sich Neta, mit Dori zu reden. Im Grunde haben sie seit seiner Abreise nur zweimal miteinander gesprochen. Beim ersten Mal fragte er, mit einem Staunen, das jeden Moment in Weinen umschlagen konnte: Papa?, und reichte das Telefon dann seiner Mama. Beim zweiten Mal fragte er: Wann kommst du zurück, Papa? Ich habe dir ein Bild gemalt! Und als Dori sagte, bald, ich weiß noch nicht genau, wann, legte er auf. Seitdem möchte er nicht mehr ans Telefon. Die Psychologin hat zu Roni gesagt, das sei ganz natürlich, so reagierten Kinder auf Trennung. Doch Dori wird dabei verrückt. Wenn der Junge eine Macke, einen irreparablen Schaden davonträgt, was dann? Wenn Neta sich sein Leben lang nicht mehr trauen wird, sich einem anderen Menschen zu nähern, aus Angst, der könnte eines Tages wegfahren? Und was, wenn diese Reise länger wird – nun kriecht eine andere Angst, eine ganz egoistische Angst in ihm hoch – und wenn der Junge ihn vergessen, ihn einfach ausradieren wird? (Als sein Vater aus dem Jom-Kippur-Krieg zurückkam, so erzählt die Familiengeschichte, ist er weinend vor dem bärtigen fremden Mann geflohen, der plötzlich an der Wohnungstür stand, und hat sich unter seiner Decke versteckt.)
Zwei Tage später stört er Alfredo, als er gerade wild mit einer Amerikanerin flirtet, die aussieht, als wäre sie zehn: Hör zu, Amigo – ich … mir reicht’s. Dein Geruchssinn in Ehren … aber ich bezahle für diese Tour, und ich sage dir, wir verschwenden hier schon fast eine Woche lang unsere Zeit.
No, hay problema , stimmt Alfredo überraschend zu. Aber lass uns noch zu einer Farm fahren, sei so gut. Zu der Farm von El Loco, am weißen Fluss. Wir können morgen dahin aufbrechen, wenn du willst.
Die Farm von El Loco ist nur mit dem Boot zu erreichen. Sie lassen den Caravan unter den wachsamen Augen von zwei Ortsansässigen, die Alfredo schon kennen, am Ufer stehen.
Ein Junge in Bermudashorts und mit nackter Brust rudert sie in einem kleinen Gummiboot flussabwärts. Keine Chance, dass mein Vater in dieses Boot gestiegen ist, denkt sich Dori. Er wird doch gleich seekrank. Ab und zu gibt es auch einen kleinen Wasserfall –
Doch das Boot gleitet den Fluss hinunter, ohne besonders zu wackeln. Die Strömung ist nicht sehr stark, das Wasser dickflüssig,
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