Neuland
sie. Und ich wette mit dir um zwanzig Lamas, dass du dich wegen ihrer Augen in sie verliebt hast.
(Ich sage ihm nicht, dass ich auch kapiert habe, dass sie und er an dem Kind zerren, jeder packt einen Arm und zieht es in seine Richtung, und den Kleinen zerreißt es zwischen ihnen. Und der Blick des Jungen ist nicht gut, nicht fröhlich. Das sage ich ihm aber nicht, denn es gibt eine Grenze, was Kunden bereit sind, von dir über sich selbst zu erfahren.)
Nicht schlecht, sagt er und steckt das Foto zurück in seinen Pouch, gar nicht schlecht, Señor Alfredo.
Einmal am Tag nimmt er mein Satellitentelefon und ruft seine Grünäugige an. Normalerweise stelle ich meinen Kunden so etwasin Rechnung, schreibe alles in einem Blöckchen auf, aber für diesen Dori mach ich gerne die ganze Hand auf. Keine Ahnung, warum. Sie hat eine junge Stimme, seine Frau. Roni heißt sie. Eine junge, schöne Stimme, aber nicht nett. Obwohl er immer wahnsinnig nett zu ihr ist, er schickt ihr seine ganze Wärme durchs Telefon. Und sie redet mit ihm, als wäre er ein guter Freund von früher. Ich verstehe nicht die Worte, die sie sagt, aber ich kenne mich aus mit den Tonlagen von Frauen, und sie, sie hat den Ton einer Frau, die sich nicht nach ihrem Mann sehnt, und das gefällt mir nicht, es gefällt mir nicht, dass sie sich ihm gegenüber so verhält. Ich sehe auch, dass er, nachdem sie telefoniert haben, nicht fröhlich ist. Aber ich sage nichts. Er und sein Vater sind Mitglied in der Partei, wo sie nur eine große Liebe im Leben haben, so hat er mir das erklärt. Er hat das ein paarmal wiederholt. Ich kümmere mich nicht um Politik. So reiche ich ihm nur die Erdnussflips, als er mir das Telefon zurückgibt, und frage, was die Parteivorsitzende gesagt hat. Und er schaut aus dem Fenster, lässt etwas Luft aus den Lungen und sagt: Sie denkt, dass du Recht hast, Alfredo, dass wir geduldig weitersuchen sollten, von einer Farm zur nächsten, bis wir den Anfang eines Fadens finden.
Dori
Je tiefer sie in das Gebiet der Farmen eindringen, desto mehr verschwinden die Zeichen der zivilisierten Welt. Ab und zu erscheint zwischen den Büschen ein Pferd ohne Reiter. Hin und wieder eine Telefonzelle mit abgerissenem Hörer am Straßenrand. Die Straßen bestehen aus Kratern, wie die Oberfläche des Mondes. Und manchmal enden sie abrupt an einer Schranke oder vor einem dichten Gebüsch. Dann muss man zu Fuß bis zur Farm weitergehen. Bevor sie aus dem Caravan steigen, lädt Alfredo seine Pistole. Es gibt hier Banden, die ziehen den zugedröhnten Gringos die Kleider aus, sagter und fügt sofort hinzu: Aber sie bringen sie nicht um. Hier hat es schon zwanzig Jahre lang keinen Mord mehr gegeben. Hier rauben sie einen nur aus. Da bin ich ja beruhigt, sagt Dori, und Alfredo bemerkt nicht den zynischen Klang seiner Stimme. In den Duschen auf den Farmen gibt es meistens kein heißes Wasser, und selbst wenn es welches gibt, ist es schon mitten im Duschen verbraucht; das stört Dori anfangs, dieser Moment der Gänsehaut, wenn das eiskalte Wasser auf seine Schultern trifft, doch nach ein paar Tagen gewöhnt er sich daran. Er hört auf, sich zu duschen. Er hat keine Kraft dazu, und irgendwie, findet er, passt es auch besser zu dieser unrasierten Gegend, in der sie sich aufhalten. Die Büsche und Bäume brausen mit Tausenden von Ästen und Blättern, auf denen der Regen ein Concerto für Tropfen spielt. Das Klopfen der Tropfen auf dem Blatt, bemerkt er nach ein paar Tagen, klingt anders als die Tropfen, die über einen Ast rollen, anders als die Tropfen, die auf den Mantel aufschlagen, und anders als die Tropfen in den kleinen Pfützen zwischen den Bäumen. Überall fließt die ganze Zeit Wasser, bis die Grenze zwischen Fluss und Nebenarm verwischt. Das hier ist kein richtiger Dschungel, zumindest nicht nach der biologischen Definition. Hier gibt es keine Affen und Krokodile, keinen Tarzan und Mowgli, aber es gibt Schmetterlinge in den schönsten Farben, und etwas Wildes, Dampfendes liegt in der Luft. Auch die Farmen selbst sind ziemlich urwüchsig. Ein paar Strohhütten umgeben eine Hütte mit einer Küche, und daneben steht ein Essenszelt. Und alles gebaut aus natürlichem Material: Die Tische sind aus Holz gezimmert, die Hängematten sind aus Seilen geknüpft. Kerzen dienen als nächtliche Beleuchtung. Wäsche wäscht man im Fluss, mit einem Stück Seife, und hängt sie zum Trocknen auf die Bambusstühle vor den Hütten. Das funktioniert nicht immer, wegen des
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