Neuland
genießen, weil ich mir Sorgen um ihn mache. Da hab ich einfach eine Macke, anders kann man es nicht nennen. Das ist eine der Sachen, die ich ändern werde, wenn ich zurück bin.Als ob das was helfen würde. Was hilft dann? Ein Vogel zwitschert, noch einer und noch einer, also wird es bald hell. Vielleicht gehe ich aus der Hütte, und Vater steht einfach da, in der Sonne. Vielleicht umarmen wir uns dann, und ich werde ihm erzählen, dass HaPoel Pokalsieger geworden ist, und vielleicht werden wir zusammen weiterziehen, noch ein paar Tage, von einer Farm zur anderen. Ich muss schon zugeben, diese Gegend von Ecuador ist umwerfend. Noch ein paar solche Tage, und ich werde süchtig, entferne mich vom Mutterschiff, lass es los, lass es laufen, gehe in der Atmosphäre auf. Aufwachen, ich muss aufwachen, muss mich losreißen aus dieser Schlaffheit und weiterfahren von einer Farm zur anderen. Ich hab keine Wahl.
*
Mal heißt sie die Farm von Manuel, mal die von Rafael. Wie seine Klassen auf dem Gymnasium hat jede Farm ihre eigene Magie, doch immer gibt es in Gehentfernung einen Fluss, und die meisten Mahlzeiten basieren auf Bananen, und nachts ist der Himmel voll ausgestreuter Hoffnungen, und Leute holen ihre Gitarren und Bongos heraus, eine Nay und ein Didgeridoo , ein Instrument der Aborigines mit langem Rohr, dessen Klang ihn so hypnotisiert, dass er in einer Nacht seine Hütte verlässt, zu den im Kreis Sitzenden geht und wissen will, wie man darauf spielt.
Das ist nicht so einfach, sagen sie und machen es ihm vor. Um einen langen, anhaltenden Ton zu bekommen, musst du gleichzeitig einatmen und ausatmen; Zirkelatmung nennt man das. Er versucht es, scheitert und scheitert und scheitert, während die anderen lachen, bis es ihm plötzlich gelingt – er ist eben doch Fimas Enkel und hat zwei Jahre lang Trompete gespielt –, und der Klang kommt lang und summend aus dem Instrument. Er reitet weiter auf dieser Frequenz, die er gefunden hat, sehr lange, vergisst alles, die ganze Spannung des Schuljahrs, das gerade erst zu Ende ging, die Suche nach seinem Vater, die Sehnsucht nach Neta, die Kälte von Roniam Telefon – so ist das bei ihm; nur beim Musikmachen oder beim Ficken schafft er es, sich der Gegenwart ganz hinzugeben, bis zur Gedankenlosigkeit. Ein paar Australierinnen stehen auf und tanzen, er verfolgt ihren sich windenden Tanz, atmet aus und ein, aus und ein, bis der Tanz von alleine abebbt, der Generator sich ausschaltet und die Sterne vom Himmel fallen und dabei noch nicht einmal einen Schweif hinterlassen, und auch ohne dass ihm einer sagt, er solle aufhören, weiß er, es ist genug.
Was hat sein Vater hier gemacht, wundert er sich später, wieder allein in seiner Hütte, was genau hat er gemacht, während die andern auf dem Didgeridoo gespielt und ihre geweiteten Pupillen zum Himmel gehoben haben – hat er Soda getrunken und ihnen seine strategische Beratung angeboten?
Ich glaube nicht, dass wir auf dem richtigen Weg sind, beklagt er sich am nächsten Morgen bei Alfredo. In ihm steigt die ernsthafte Sorge auf, nach ein paar mehr Nächten Zirkulationsatmung in diesem Klang aufzugehen und nicht mehr die Willenskraft zu haben, noch aus der Hängematte aufzustehen, zu suchen, zu retten.
Tranquilo , Mister Dori, sagt Alfredo mit Nachdruck. Wir müssen in die Tiefe des Waldes dringen, Verbindungen knüpfen, Hinweise sammeln. Ich bin mir nicht sicher, dass wir deinen Vater hier finden, aber ich bin mir beinahe sicher, dass er hier durchgezogen ist. Ich rieche ihn hier die ganze Zeit.
Was für einen Scheiß redest du da, denkt sich Dori, du kennst seinen Geruch ja gar nicht (eine Mischung aus Pfeifenduft, Old Spice und einer Prise Basketballgummi, Mutters Shampoo, Laserdrucker-Toner und Autositzbezügen).
Aber Ze’ela sagt, er habe glaubwürdig geklungen – Alfredo schickt ihr per E-Mail einen täglichen Bericht über den Stand ihrer Suche –, und Roni sagt, sie habe auf der Homepage des Independent einen Artikel über eine junge Frau gelesen, deren Leiche Alfredo vor einem Monat in Kolumbien gefunden hat, nachdem die offiziellen Stellen die Suche schon aufgegeben hatten.
Ich brauche ihn nicht, um eine Leiche zu finden.
Ja, … gut … das meine ich ja auch nicht. Ich meine nur, dass sie da schreiben, er sei wirklich der Allerbeste bei der Suche nach Verschollenen, mit ihm könne es keiner aufnehmen, und das steht im Independent , Dori.
Was macht er dann schon eine ganze Woche mit mir?, fragt sich Dori
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