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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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schwer. Hier und da steht am Ufer eine Holzhütte. Von unsichtbaren Lagerfeuern steigt Rauch auf. Bäume strecken ihre langen Arme nach ihnen aus. Bunte Früchte in fremden Formen. Ein Felltier mit langem Schwanz, das Dori noch in keinem Zoo gesehen hat, schleicht zwischen den Bäumen. Er bittet Alfredo, den Jungen zu fragen, was das für ein Tier sei, doch der lächelt als Antwort nur. Er hat ein ziemlich merkwürdiges Gesicht – ein Auge ist offen, das andere zu einem dünnen Spalt zusammengekniffen. Als hätte er als Kind einen Angstkrampf gehabt und wäre darin erstarrt. Aber rudern kann er. Sie kommen voran, immer tiefer ins Innere des Inneren. Der Flussarm wird enger, die Luftfeuchtigkeit steigt. Als wechselten sie in eine andere Klimazone. Links erscheint ein riesiger Baum mit sich windenden Ästen. Das wäre ein Kletterbaum für Neta, denkt sich Dori, er klettert auf jeden Baum, den er sieht; ohne Angst. Doch seinem Vater, der selbst kein schlechter Kletterer ist, macht das Angst. Er sieht den Sturz schon kommen. Beruhige dich, sagt Roni, lass ihn Erfahrungen machen.
    Da es keinen Sinn hat, den rudernden Jungen nach dem Namen des Baumes zu fragen, erfindet Dori selbst einen Namen: Popa, nach dem riesigen Basketballspieler Constantin Popa. Und die kleine Eidechse auf einem der niedrigen Äste, die wie ein Leguan aussieht, nennt er Leguanchen. Angenommen, sein Vater ist tatsächlich in ein Boot gestiegen, hat er dann auch hier darauf bestanden, seinen Doktor Gav zu benutzen? Und wo genau hat er ihn angelehnt?
    Trink was, sagt Alfredo und reicht ihm eine Wasserflasche. Hier muss man trinken.
    Er trinkt einen ganzen Liter. Er hat nicht gemerkt, dass er so durstig war. »El Loco« ist auf Spanisch »der Verrückte«, erklärt ihm Alfredo. Der Mann ist aber eigentlich Amerikaner. Er ist vor vierzig Jahren, nach Vietnam, hierhergekommen, hat ein riesiges Stück Land gekauft und es mit Kaktushecken umzäunt. Man kommt nur durch das Haupttor auf seine Farm, und das ist immer verschlossen.
    Wie kommt man dann rein?
    Man drückt auf einen Knopf beim Tor, und dann schaut er dich durch seine Kameras an. Wenn du ihm gefällst, lässt er dich rein. Wenn nicht, und die meisten Leute gefallen ihm nicht, bleibt das Tor zu.
    Dann kommt bestimmt niemand hierher.
    Im Gegenteil. Die Leute mögen es doch, wenn man sie wie Dreck behandelt, Mister Dori. Und außerdem heißt es, da drinnen sei un paraíso , ein Garten Eden. Und dass El Loco für seine Gäste Mahlzeiten mit neun Gängen kocht. Deshalb kommen die Leute mit dem Boot hierher und versuchen immer wieder ihr Glück, vielleicht wird er ihnen ja diesmal öffnen.
    In dem Moment, als der Junge anhält und das Boot an einem kleinen Landungssteg festbindet, fallen die Mücken über sie her. Dutzende, wenn nicht Hunderte. Binnen weniger Sekunden ist Dori völlig zerstochen, sogar sein Arsch. Wie verdammt noch mal ist der Mückenrüssel an seinen Arsch gekommen? Alfredo reichtihm eine Salbe. Sie stinkt entsetzlich, aber was soll er tun. Er cremt sich die unbedeckten Körperteile ein, und auch den Hintern. Der Junge wartet geduldig, mit demselben unbestimmten Lächeln auf den Lippen. Seine Brust ist noch immer nackt. Ihn sticht keine Mücke, als hätten sie einen Blutbund mit ihm geschlossen. Dann führt er die beiden auf einem schmalen Weg zwischen Bananenstauden bis zu einem silbrigen elektrischen Tor, das besser zu einer Villa in Talbije als nach Ecuador passt.
    Der Knabe drückt auf den Summer und zieht sich zurück, um den Entscheid abzuwarten. Wird er diesmal mit einem vollen oder mit einem leeren Boot zurückrudern? Mit erstaunlicher Geschwindigkeit, sogar der Junge ist überrascht, geht das Tor auf. Dahinter erscheint Joe Cocker in weißem Unterhemd mit einer roten Bandana um den Kopf und einem schiefen Lächeln.
    Auf seiner rechten, nackten Schulter sitzt ein Leguanchen. Welcome aboard, you are the son of Meni Peleg, right? , fragt er Dori mit rauchiger Stimme.
    *
    Sie sitzen zusammen unter einem riesigen, blendend weißen Moskitonetz, das wie ein Trauhimmel über dem ganzen Restaurant der Farm hängt. El Loco reicht ihnen Tee, den er für sie aufgebrüht und mit Eiswürfeln abgekühlt hat, und Dori nimmt einen großen Schluck und beugt sich dann vor, um das Glas auf den Tisch zu stellen. Noooo !, kreischt El Loco, stürzt mit entsetztem Blick nach vorne und legt Korkuntersetzer auf den Tisch. Danach atmet er schwer, als habe er ein entsetzliches Unglück

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