Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
Ferien.
»Wir haben übrigens beschlossen, ihn ein paar Tage vorzuverlegen«, berichtete Leo.
Jolin zog die Stirn kraus. »Also mitten in die Woche?«
»Ja«, bestätigte Anna. »Leo fliegt danach noch für ein paar Tage nach Amerika.« Sie warf Jolin einen vielsagenden Blick zu und zuckte resigniert die Achseln. »Präzise ausgedrückt nach Boston.«
»Zu Carina?« Jolin staunte nicht schlecht. »Geht es ihr besser?«
Leo kniff die Mundwinkel ein und nickte. »Sie haben dort in der Klinik ein Medikament gefunden, das ihr Blut wieder gerinnen lässt.« Er seufzte leise. »Und jetzt möchte sie, dass ich komme. Ihre Eltern zahlen mir den Flug und die Unterbringung und all das.«
»Ist ja genial«, sagte Jolin wenig begeistert. Insgeheim freute sie sich sehr über diese Nachricht. Dass es mit Carina endlich bergauf ging, war ja auch ein echter Lichtblick. Für Anna jedoch war das Ganze natürlich eine Hiobsbotschaft. Und was Leo betraf, konnte man sein Verhalten zumindest als leicht irritierend bezeichnen.
»Du willst dich also nicht von ihr trennen?«, fragte Jolin.
Paula, die sich gerade ein Stück Hähnchenbrust in den Mund schob, merkte auf, sagte allerdings nichts.
»Ähm … nein … also …« Leonharts Blick streifte unsicher umher.
»Du willst sie nicht schocken«, meinte Jolin. »Das finde ich gut. Ohnehin sollte man manche Dinge nicht überstürzen«, fügte sie hinzu und lenkte das Gespräch dann hastig wieder auf den Aktionstag zurück. »Lässt sich der Termin denn auf die Schnelle überhaupt noch umorganisieren?«
»Schon passiert«, sagte Anna. »Es gibt eine Menge Leute, die helfen wollen. Außerdem haben wir die gesamte Belegschaft aller involvierten Behörden eingeladen. Und die kommen an einem Dienstag natürlich eher als an einem Samstag.«
Leo nickte eifrig. »Die Geschichte ist zu einem echten Selbstläufer geworden. Und dieser … äh, na ja … dieser Vorfall … hat die ganze Sache sogar noch begünstigt.« Er hatte es kaum ausgesprochen, da hob er auch schon abwiegelnd die Hände. »Nicht, dass ich die Sache beschönigen wollte …«
»Sprichst du etwa von diesem abscheulichen Verbrechen?«, erkundigte sich Paula. Sie hatte die Gabel sinken lassen und sah Leo mit einer Mischung aus Erwartung und Abscheu an. Dann wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Ich nehme an, deine Freunde wissen Bescheid …?«
»Ähm … ja klar!«, beeilte sich Jolin zu erwidern und linste durch eine vorgefallene Haarsträhne ängstlich zu Leo hinüber, doch der ließ sich erstaunlicherweise nicht das Geringste anmerken.
Selbst als sie eine Viertelstunde später zu dritt in Jolins Zimmer saßen, kam er mit keinem Wort auf Paulas Frage zurück. Jolin beschlich ein ungutes Gefühl, trotzdem mied sie es, das Thema noch einmal anzusprechen. Die meiste Zeit über redete ohnehin Anna. Sie schien dieses Projekt zu ihrem Steckenpferd gemacht zu haben. Mit Feuereifer erzählte sie, dass sich die Leute in der angrenzenden Sozialsiedlung mit den Containerbewohnern zusammengesetzt und so etwas wie einen Solidarpakt geschlossen hätten. Einige fieberten der Verschönerungsaktion offenbar geradezu entgegen.
»Es gibt dort arbeitslose Maler und Fliesenleger und auch zwei Installateure, die schon mit den ersten Reparaturen und Renovierungen begonnen haben«, berichtete Anna mit glänzenden Augen. »Ende der Woche wird alles, was wir für die Bepflanzung brauchen, in die Siedlung transportiert, außerdem die Latten für die Zäune und die Farben, Pinsel und so. Und stell dir vor, Jol, sogar der Bürgermeister hat sich für übernächsten Dienstag angekündigt.«
»Na super«, sagte Jolin ein wenig abwesend, denn ihr ging inzwischen etwas ganz anderes durch den Kopf.
»Es gibt allerdings auch einen Wermutstropfen«, setzte Anna hinzu. Sie legte ihre Hand auf Jolins Oberschenkel, so dass diese sich ihr wieder mit voller Aufmerksamkeit zuwenden musste. »Der Container von Harro Greims steht jetzt leer. Der Mann von der ermordeten Frau will nicht mehr dort leben. Er zieht ein Bett im Obdachlosenheim vor, weil er dort mehr Ablenkung und Gesellschaft hat.«
»Das kann ich gut verstehen«, murmelte Jolin. »Vielleicht sollten wir ein Denkmal aus diesem Container machen und ihn in Erinnerung an Harro und diese Frau neu anmalen. – Verdammt, wir wissen ja noch nicht mal, wie sie heißt!«
»Doch«, entgegnete Leo, der eine ganze Weile schweigend auf Jolins Schreibtischstuhl gesessen und den Wandkalender angestarrt
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