Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
der Schule direkt hierhergekommen.«
»Aber ich bin doch nicht blind.«
»Willst du nicht lieber erst mal Luft holen?«, fragte Rouben lächelnd. »Womöglich erstickst du noch, wenn ich dich gleich küsse.«
Jolin wurde schwindelig. Ihre Lungen schmerzten, als sie wieder zu atmen begann. »Warum nimmst du mich nicht ernst?«
»Oh, das tue ich.«
»Dann hör mir doch bitte mal zu!«
Rouben stutzte. Seine Miene war aufmerksam und auch ein wenig besorgt. »Jolin«, sagte er. »Weißt du, was ich glaube?«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Ich glaube, dass du dir zu viele Gedanken machst – über Dinge, die längst vorbei sind. Außer mir wohnt niemand in unserem Haus. Und wie ich schon sagte: Ich bin heute noch gar nicht dort gewesen. Wenn du also jemanden im Fenster gesehen hast, dann muss dir dein Gehirn einen Streich gespielt haben.«
»Du meinst wohl meine Nerven«, sagte Jolin. Sie senkte den Kopf und starrte auf ihre Hände, die wie Fremdkörper auf ihren Oberschenkeln lagen. Rouben hatte recht. Es musste an ihren völlig überreizten Nerven gelegen haben. »Ich habe solche Angst, dass all dies mit uns schon bald wieder vorbei sein könnte«, fügte sie mit zitternder Stimme hinzu.
»Warum sollte es?«, erwiderte Rouben. »Die Prophezeiung ist erfüllt, mein Bruder und sein Vater, seine ganze verdammte dunkle Familie, sie alle sind verschwunden. Sie haben keinen Zugriff mehr auf uns.«
»Was macht dich da so sicher?«
»Meine Mutter hätte diese Welt niemals verlassen, wenn sie nicht wüsste, dass uns nichts mehr geschehen kann.«
Jolin hob ihren Blick. »Hat sie das denn?«, fragte sie leise.
»Sie hat mir diese Goldmünzen und einen Brief hinterlassen«, erwiderte Rouben eindringlich. »Sie ist bei klarem Bewusstsein ins Sonnenlicht gegangen. Auf diese Weise konnte sie sich uns wenigstens für den Bruchteil eines Augenblicks wirklich nahe fühlen. Ihr Dasein hat keinen Sinn mehr gehabt. Ramalia war heimatlos, Jolin, sie wollte nicht mehr existieren. Und sie existiert auch nicht mehr.«
»Und du? Was ist mit dir?«
»Wie meinst du das?«
»Was macht dich so sicher, dass du bei mir bleibst? Jetzt, nachdem dein Leben endlich geworden ist, könntest du das Gefühl haben, etwas zu verpassen, wenn du nicht …«
Rouben legte ihr seinen Finger auf die Lippen. »Du weißt nicht, was du da sagst.«
Jolin schluckte.
»Du bist der Grund, warum ich hier bin«, fuhr Rouben fort. »Ohne dich hätte ich niemals den Wunsch verspürt, das Zwielicht zu verlassen. Wahrscheinlich hätte ich nicht einmal geahnt, dass das überhaupt möglich ist.«
»Du irrst dich«, sagte Jolin. »Deine Mutter hat dich die ganze Zeit geführt. Sie wollte, dass du die Prophezeiung erfüllst, und deshalb hat sie dafür gesorgt, dass du mich bemerkst. Es hätte genauso gut auch irgendein anderes Mädchen sein können«, brach es aus ihr hervor.
»Nein, das hätte es nicht«, sagte Rouben. »Bitte glaube mir. Zwing mich nicht, dir noch einmal etwas beweisen zu müssen. Ich liebe dich, das ist alles, was ich sagen kann, weil es alles ist, was ich fühle. Es ist einzigartig und endgültig. Ich möchte nie wieder etwas anderes als dies. Verstehst du, Jolin: Du bist mein Leben. Du bist es schon immer gewesen.«
Nachdem das letzte Wort über seine Lippen gekommen war, erfüllte eine Stille den Raum, die Jolin in einer solchen Intensität noch nie empfunden hatte. Es war eine Stille, die die Welt um sie herum ausschloss, die nur ihnen gehörte und die auf eine mit dem Verstand nicht zu erfassende Weise ewig war.
Im nächsten Moment spürte Jolin eine zarte Berührung auf ihrem Handrücken.
»Du ahnst nicht, was es für mich bedeutet, dass du wieder ganz gesund bist«, flüsterte Rouben. Behutsam schloss er seine Finger um ihre Hände, er drehte sie mit den Innenflächen nach oben, und dann legte er ebenso behutsam seine Hände hinein.
Es war ein überwältigendes Gefühl.
Jolin schloss die Augen und nahm Roubens Wärme in sich auf. Innerhalb weniger Atemzüge erfüllte sie ihren ganzen Körper, ließ ihre Zweifel davonfliegen und umarmte ihre Seele. Diese Wärme war das Schönste, was Jolin sich je hatte vorstellen können, und plötzlich wurde ihr klar, dass sie eine Weile brauchen würde, bis sie mehr als diese ganz und gar unglaubliche Berührung ertragen konnte.
»Das bin nicht ich«, hörte sie Rouben murmeln. »Und das ist auch nicht, weil ich immer noch irgendwie magisch bin, falls du das glaubst.«
Jolin hielt die
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