Neun Tage Koenigin
meiner Hochzeit, zu ihnen nach Hause zurückkehren würde, wenn ich keine andere Anstellung in London fände.
Ich verspürte nicht den Wunsch, im Dienst der Familie Dudley zu stehen. Ich traute John Dudley nicht.
Ich wusste, dass es Jane genauso ging, und es schmerzte mich, dass sie schon so bald mit seinem Sohn verheiratet sein und seinen Namen tragen würde.
Ich jedoch würde nicht für ihn arbeiten.
Allerdings war ich auch keinen Moment auf den Gedanken gekommen, dass er mich fragen könnte.
Am dritten Tag rief mich dann die Herzogin zu sich. John Dudley, der Herzog von Northumberland, und sein Sohn Guildford kämen noch am selben Tag, um ihre Aufwartung zu machen, und ich möge dafür sorgen, dass Jane zu deren Begrüßung angemessen gekleidet sei.
„Und ich will kein Schwarz sehen“, befahl sie. Ihr harscher Tonfall war begleitet von Augenrollen und einem abschätzigen Winken mit der Hand.
Ich machte einen Knicks und ging, um ihre Anordnung auszuführen.
Jane traf ich in ihrem Salon an einem runden Tisch sitzend an. Manchmal nahm sie an diesem Tisch ihre Mahlzeiten ein, aber an diesem Tag war die Tischplatte mit Briefen und Brocken von Siegelwachs übersät. Als ich das Zimmer betrat, stocherte sie an einem gebrochenen Siegel herum.
Ich machte einen Knicks. „Guten Morgen, Mylady.“
„Ich kann von jedem diesen gönnerhaft-mitleidigen Tonfall ertragen, Lucy, außer von dir.“
Ich suchte nach den passenden Worten für eine Erwiderung, aber nichts schien mir angemessen. Nachdem wir beide eine Weile geschwiegen hatten, bat sie mich, an den Tisch heranzutreten.
„Diese Briefe“, sagte sie, „sind alle an eine Jane gerichtet, die niemand kennt. Nicht einmal du. Ja, ich glaube, dass nicht einmal du diese Jane kennst.“
Ich schaute auf die verstreuten Pergamentbögen herab, sah die fließenden Handschriften, die ellenlangen Seiten und ein paar Unterschriften wie zum Beispiel die von Heinrich Bullinger und John ab Ulmis. Dabei handelte es sich um Theologen vom Kontinent, mit denen sich Jane bereits seit ihrem vierzehnten Lebensjahr schrieb. Ich hatte die Briefe, die Mylady an solche Gelehrten geschrieben hatte, nie gelesen. Und auch die Briefe, die sie erhalten hatte, kannte ich nicht, aber ich wusste, dass Jane an einem Punkt angelangt war, an dem ihr bewusst geworden war, dass sie nicht etwa deshalb an Gott glaubte, weil man es in ihrer Stellung von ihr erwartete, sondern dass ihr Glaube der Mittelpunkt und Kern ihrer Seele war. Glaube war für Jane nicht etwas, das man zum Feilschen benutzte oder um Druck auszuüben. Der eigene Glaube musste so selbstverständlich sein wie der eigene Herzschlag.
„Ich fürchte, dass es diese Jane bald nicht mehr geben wird“, flüsterte sie.
„Sagt doch so etwas nicht, Mylady“, flüsterte ich zurück.
„Wie kann ich denn Gott ehren und dennoch diesen Mann heiraten?“
„Ihr werdet sicher einen Weg finden.“
Eine Träne quoll aus ihrem rechten Auge und rann ihr die Wange hinunter, gefolgt von einer weiteren aus dem anderen Auge.
„Und was ist mit Edward?“
Darauf hatte ich keine Antwort.
„Er verlangt zu viel von mir“, murmelte sie.
Ich wusste nicht so genau, wen sie meinte, und fragte: „Euer Vater?“
Sie nahm ein bisschen gehärtetes Siegelwachs zwischen die Finger und zerbrach es.
„Gott“, flüsterte sie.
Eine Stunde später hörten wir Kutschen draußen im Hof. Mrs Ellen erschien, um Jane mitzuteilen, dass es Zeit sei, ihre Gäste zu empfangen. Jane verließ den Raum in einem Kleid, das sie selbst ausgesucht hatte; einer Brokatrobe in Grasgrün –
Edward Seymours Lieblingsfarbe.
Ich beobachtete an jenem Nachmittag aus der Ferne, wie der Herzog und die Herzogin ihre Gäste empfingen, und war ein ganz klein wenig eifersüchtig darauf, dass die Diener alle Gespräche bei Tisch im Garten mithören konnten. Ich konnte von meinem Fenster aus nur zuschauen, wie Guildford mit Jane sprach, ohne jedoch etwas verstehen zu können. Ich sah, dass er wirklich sehr ansehnlich war, aber er schien Jane gegenüber unaufmerksam und abgelenkt, so als gelte sein eigentliches Interesse dem Gespräch zwischen seinem Vater und dem von Jane. Immer wieder schweifte seine Aufmerksamkeit zu Gesprächen zwischen den beiden Herzögen ab, die ein wenig abseits stattfanden. Jane blickte kaum von ihrem Schoß auf. Einmal sah ich, wie sie zu den Fenstern des Hauses aufblickte, zu meinem Fenster. Ich hob meine Hand und drückte sie an die Scheibe. Sie wandte
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