Neun Tage Koenigin
dass wir uns würden trennen müssen.
„Ja.“
„Aber sie sagt auch, dass du nach deiner Hochzeit mit Mr Staverton in London bleiben wirst.“ Sie blinzelte ihre Tränen zurück.
„Ja, Mylady.“
„Vielleicht werde ich dich ja dann doch noch wiedersehen, liebe Lucy.“
„Gewiss, Mylady.“
Sie seufzte. „Vielleicht könntet ihr ja doch eine künftige Anstellung in Erwägung ziehen, du und Mr Staverton, wenn … wenn dieses Arrangement, dem ich verpflichtet bin, mich mit Kindern tröstet.“
Ich konnte nur nicken. Die junge Lady musste an diesem Tag träumen dürfen. Wenigstens das konnte ich ihr schenken.
Sie stand auf und hielt mir das Unterkleid hin. „Hilf mir bitte beim Anziehen, Lucy“, sagte sie, und ich gehorchte wortlos.
Achtundzwanzig
Nicholas und ich heirateten am 8. Juni in meinem Heimatdorf im Kreise meiner Familie. Strahlender Sonnenschein vertrieb den Nebel, der in den frühen Morgenstunden jungfräulich-weiß aus den Wiesen aufgestiegen war, und die Luft war erfüllt von Vogelgezwitscher und Lavendelduft. Die Gesundheit meines Vaters hatte sich Ende des Frühjahrs verbessert, und er hatte wieder Farbe im Gesicht, auch wenn es nur für ein paar Wochen anhielt.
Es gab auf meiner Hochzeit viele Augenblicke, in denen meine Gedanken zu Jane schweiften, obwohl das einzige Ereignis, das ich mir genau vorstellen konnte, ihr Ankleiden vor der Trauung war, denn das war das einzige Ereignis von Janes Hochzeit gewesen, bei dem ich hatte dabei sein dürfen. Danach hatte ich sie an jenem Tag nicht noch einmal zu Gesicht bekommen.
Als ich das Hochzeitskleid anzog, das ich mir genäht hatte, wenn im Haushalt der Greys alles schlief, waren mir mehr die Unterschiede als die Ähnlichkeiten der beiden Hochzeiten bewusst geworden.
Ich war geradezu atemlos vor Glück, als ich in die Kirche einzog, und konnte kaum meine Freudentränen unterdrücken, als ich gelobte, Nicholas zu lieben und zu ehren, bis dass der Tod uns schied. Jane hatte ihre Gemächer entschlossen und ohne eine erkennbare Gefühlsregung verlassen. Nur ein paar verirrte Tränen auf ihren Wangen waren ein stummes Zeugnis für ihre Trauer über den Verlust eines gemeinsamen Lebens mit Edward Seymour gewesen, das nie das Ihre sein würde.
Ich dachte an sie, als Nicholas und ich niederknieten und zu Gott beteten, bevor dann der Pastor unseren Bund segnete. Ich dachte an sie, als wir als Mann und Frau wieder aus der Kirche auszogen, und dann noch einmal, als Nicholas mich in dieser Nacht in die Arme nahm und wir gemeinsam die unaussprechliche Schönheit und Herrlichkeit der Hochzeitsnacht erlebten.
Ich wusste, dass nichts an meinem Hochzeitstag auch nur annähernd dem von Lady Jane ähnelte. Mich hatte die Liebe vor den Traualtar geführt, sie die Pflicht.
Wir waren beide verheiratet, aber aus völlig unterschiedlichen Gründen.
Niemals zuvor war ich dem allmächtigen Gott so dankbar gewesen, als Bürgerliche geboren worden zu sein, als an dem Tag, an dem ich den Mann heiratete, den ich liebte und der mich liebte.
Es machte mir nichts aus, dass Nicholas und ich wieder nach London zurückkehrten und uns dort unter dem Dach eines Jungenwohnheimes einrichten mussten, dass ich meine Tage damit verbrachte, die zerrissenen Hosen kleiner Jungen zu flicken, Schrammen an Kinderknien zu verarzten, der Köchin in der Küche zu helfen und heimwehkranke Jungen zu beruhigen, die sich nach ihren Müttern sehnten.
Wenn Nicholas abends die Arbeiten seiner Schüler weggeräumt hatte und ich ihre geflickte Kleidung, gingen wir im mondbeschienenen Garten, der von einer Mauer umgeben war, spazieren, lasen uns Gedichte vor, lachten, träumten und gingen dann wieder zurück in unser winziges Zimmer und unser gemeinsames Bett.
In meine Gebete nahm ich auch immer wieder die Fürbitte für Jane auf; ich konnte nur erahnen, wie wohl die ersten Wochen ihrer Ehe waren. Ich wusste nicht, ob die Ehe mittlerweile vollzogen war, aber ich wusste, dass dies nur eine Frage der Zeit war. Für mich war es unvorstellbar, mit jemandem das Ehebett zu teilen, den ich nicht liebte, und es gab Augenblicke, da weinte ich um Jane. Nicholas wusste nicht, warum Janes Ehe nicht bereits in der Hochzeitsnacht vollzogen
worden war, aber er vermutete, dass, da diese Ehe aus politischen Gründen geschlossen worden war, es ebenso politische Gründe gab, weshalb der Vollzug der Ehe zunächst aufgeschoben worden war. Janes Alter war sicherlich nicht der Grund dafür, denn sie war fünfzehn
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