Neun Tage Koenigin
den Blick wieder ab.
In den Tagen unmittelbar vor Janes Hochzeit mit Guildford Dudley erfuhr ich, dass meine Anstellung im Haushalt des Herzogs von Somerset zu einem guten Abschluss kommen und ich bei meinem Ausscheiden ein Empfehlungsschreiben allererster Güte erhalten würde. Ich rechnete damit, den Monat Mai noch bei Lady Jane zu bleiben, um mich darum zu kümmern, dass ihre Garderobe sicher und unversehrt im Haushalt ihres Mannes, in Syon Park am Ufer der Themse, ankam. Danach wäre ich dann frei, mir eine neue Anstellung zu suchen.
Meine Eltern waren froh, mich bei den Vorbereitungen für meine eigene Hochzeit zu Hause zu haben und mich noch ein paar Tage lang als ihre letzte unverheiratete Tochter verwöhnen zu können. Cecily hatte nämlich bereits im Jahr zuvor den Sohn des Vogelfängers in dem Herrenhaus geheiratet, in dem sie als Schneiderin angestellt war.
Nicholas hatte eine Stelle als Lehrer an einer Jungenschule in Whitechapel bekommen, das etwas außerhalb von London lag, aber ohne mein Einkommen würden wir uns keine eigene Wohnung leisten können und würden deshalb in den Schülerunterkünften wohnen müssen. Ich begann, Bewerbungsschreiben zu verfassen in der Hoffnung, dass eine Schneiderei in Whitechapel vielleicht noch eine Schneiderin brauchte, bis Gott uns einen Adelshaushalt bescheren würde, in dem sowohl ein Hauslehrer als auch eine Schneiderin gesucht wurden.
Da ich nicht am Entwurf der Hochzeitskleider von Jane und Katherine beteiligt war, beschäftigte ich mich mit einem Kleid für ihre kleine Schwester Mary, die bei der Hochzeit nicht dabei sein würde, weil dem Herzog und der Herzogin die körperliche Gebrechen ihrer jüngsten Tochter zunehmend peinlich waren. Nachts nähte ich an meinem eigenen Brautkleid.
Wenn ich bei Jane war, bemühte ich mich, sie von dem abzulenken, was ihr bevorstand, aber sie hatte es immer vor Augen und im Sinn, drohend wie eine Verabredung mit dem Kerkermeister.
Während der Hochzeitsvorbereitungen hatte ich einmal die Gelegenheit, Lord Guildford zu begegnen, und wieder fiel mir auf, dass er wirklich blendend aussah, aber ich merkte auch sofort, dass es ihm an Nicholas’ Bescheidenheit und an Edwards Eleganz mangelte und dass er seinem Vater offenbar sehr ähnlich war. Er war ehrgeizig, selbstsicher und gerissen. Und zu meiner Schande und meiner Abscheu schweifte sein Blick über meine Körperrundungen, als er mir auf der Treppe hinterherblickte.
Ich rang um Fassung, als ich am Treppenabsatz angekommen war, und musste meine Abscheu zügeln. Jane erzählte ich davon nichts.
Pfingstsonntag, der Tag der Hochzeit, dämmerte mit strahlendem Sonnenschein und wolkenlos. Ich ging schon sehr früh mit einem kleinen Andenken in Janes Zimmer. Es war ein Unterkleid aus Spitze, das ich mit silbernen Röschen, Astern und Rittersporn bestickt hatte, weil sie keinen Schleier mit Blumen bekommen hatte. Alles andere, was sie an dem Tag tragen würde, war von den Schneidern Seiner Majestät genäht worden. Ihr Kleid war prächtig – es war aus Gold und königlichem Weiß und an jeder Naht mit Perlen und Edelsteinen besetzt. Der Reifrock, dem Jane nicht hatte entfliehen können, war glockenförmig und gewaltig.
Ihr traten Tränen in die Augen, als ich ihr das Unterkleid reichte, das sie unter der großen Stofffülle des Hochzeitskleides tragen konnte.
„Es ist wunderschön, Lucy.“ Mit Erfolg kämpfte sie gegen die Tränen an. Ich staunte, wie tapfer sie war.
„Ich bin … ich bin froh, dass er das Unterkleid nicht sieht. Jedenfalls nicht heute“, sagte Jane und betastete eines der silbrigen Röschen.
Ihre Worte verwirrten mich. „Wie meinen, Mylady?“
„Meine Ehe wird heute noch nicht vollzogen und die von Kate auch nicht.“
Ich errötete. „Das ist eine Gnade, Mylady, nicht wahr?“, meinte ich nach einer kurzen Pause.
„Ja, für heute ist es das. Es wird bald genug geschehen. Dafür werden meine Eltern schon sorgen. Und seine ebenfalls.“
Bei diesen Worten errötete ich noch tiefer, und ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.
„Seine Majestät kann nicht zur Hochzeit kommen“, fuhr Jane fort, schluckte ihre Gefühle hinunter und wechselte das Thema. „Er ist zu krank.“
„Wir müssen für ihn beten, Mylady.“
„Ja.“
Vor uns tat sich ein langes Schweigen auf.
„Mama sagt, dass du Ende des Monats gehen wirst“, sagte Jane schließlich und sprach damit aus, was wir beide wussten und was ich nicht anzusprechen gewagt hatte –
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