Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
Vom Netzwerk:
wurde rot und sie vermied es, den Jungen anzusehen.
    „Tut mir leid, Natalia.“ Er nahm tief Luft und schien für einen Augenblick nervös zu sein. „Mein Vater ist ein vorsichtiger Mann. Darum sind wir immer noch am Leben.“ Er tastete sie behutsam ab und ließ höflicherweise ihre Brust und den Innenbereich ihrer Oberschenkel aus.
    „Sauber“, verkündete er.
    Aidens Vater zögerte einen Moment, bevor er seine Waffe herunterließ und seinen Helm abnahm. Ein Kopf mit lockigen, grauen Haaren und ein ebenfalls gräulicher Bart kamen zum Vorschein. Er hielt die Schrotflinte fest in seiner linken Hand und reichte Leonard seine rechte.
    „Chester Woods.“
    „Leonard Tramer. Und das ist meine Tochter, Natalia.“
    „Aiden Woods“, sagte der Junge schüchtern und sah Natalia dabei wie gebannt an.
    Sie nickte zur Begrüßung mit dem Kopf. Dann kicherte sie verlegen.
    Bestürzt darüber, dass seine Tochter mit diesem mysteriösen Bergjungen flirtete, starrte Leonard mit offen stehendem Mund abwechselnd Aiden und Chester an.
    Chester Wood sprudelte plötzlich nur so über vor Gastfreundlichkeit und schlug Leonard herzlich auf den Rücken.
    „Willkommen in der freien Welt, Tramer.“
    „Äh…“ Leonard wurde langsam das besondere Ausmaß ihrer Lage bewusst. Sie waren aus der Klinik entkommen, hatten sich vor den Hubschraubern versteckt, waren über einen Berg gestiegen und hatten den Eisenhower–Tunnel durchquert. Dank der Verbündeten vor ihnen würden sie auch nicht verhungern. Sie waren frei.
    „Es gibt also eine Gemeinschaft in Silverthorne?“
    Chesters Augen wurden finster, der Ausdruck ähnelte eher Trauer als Zorn. „Nein“, sagte er sanft.
    „Es gibt nur uns.“
    „Oh.“
    „Aber ich nehme an, ihr seid auf dem Weg nach Grand Junction?“
    „Ja“, antwortete Leonard, erleichtert, dass der Mann von Grand Junction wusste, diese freie Gemeinschaft also kein Mythos zu sein schien. „Ja, Sir, das sind wir.“
    „Du kannst mich Chester nennen, Tramer.“
    „Leonard.“
    Chester schmunzelte. „Ich bevorzuge Tramer. Leonard hört sich irgendwie nach einem kleinen Jungen an, der die Flucht vor der Regierung und das Wandern durch die Berge nicht überleben würde.“
    Leonard zuckte zusammen. „Wenn du meinst.“
    „Oh, na gut, dann eben Leonard.“ Er schlug ihm wieder auf den Rücken. „Ich will dich doch nur aufziehen.“ Er klappte seine Schrotflinte zusammen und steckte sie in einen notdürftig gebastelten Halfter an der Lenkstange der Harley. Aiden tat das Gleiche.
    „Komm schon, Natalia“, rief Aiden und Natalia eilte an seine Seite.
    Leonard beobachtete entsetzt, wie Natalia hinter dem Jungen auf das Motorrad stieg. Aiden gab Natalia seinen Helm und half ihr dabei, ihn aufzusetzen und festzumachen.
    „Wäre es dir lieber, wenn sie bei einem grauhaarigen alten Knacker auf der Harley mitfahren würde?“, fragte Chester leise in sich hineinlachend.
    „Nein… Ich äh…“
    „Komm schon“, fuhr er ihn an. „Steig auf.“
    Leonard stieg vorsichtig hinten auf das Motorrad von Chester Woods.
    „Ich beiße dich schon nicht“, sagte Chester in einem gespielt beschwichtigenden Ton. „Und ich werde dich mit Sicherheit auch nicht küssen.“
    Nachdem er fast fünfzehn Minuten in den Lauf der Doppelflinte des Mannes gestarrt hatte, war sich Leonard nicht hundertprozentig sicher, was das Beißen anging, aber er machte sich keine Sorgen darüber, dass der launische Fremde versuchen würde, ihn zu küssen. Dennoch hielt er sich während der Fahrt nur widerwillig an Chesters Bauch fest.
    Die Erfahrung überraschte Leonard angenehm. Der Wind wehte ihm ins Gesicht und durch das Haar und verstärkte das in ihm aufkommende Gefühl von Freiheit. Chester manövrierte die Maschine geschickt um die Schlaglöcher und die verstreuten Steine herum. Leonard sah nach rechts und beobachtete Aiden und seine Tochter. Er konnte Natalias Gesicht unter dem Helm nicht erkennen, also wusste er nicht, ob sie aufgeregt oder ängstlich war. Aiden schien jedoch auch sehr vorsichtig zu fahren und nicht rücksichtslos Schlangenlinien zu ziehen – ein Verhalten, das man normalerweise von einem Teenager erwarten würde.
    Sanft geschwungene Hügel und Berge in der Ferne hoben Leonards Stimmung. Sie näherten sich dem Tal, in dem die Städte Silverthorne, Dillon und Frisco in die Berge eingebettet waren. Leonard schloss einen Moment die Augen, um seine Sinne auf den beruhigenden Anblick vorzubereiten.
    Als er sie wieder

Weitere Kostenlose Bücher