Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
öffnete, runzelte er die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht. Das Tal schien düster. Angesichts der Tatsache, dass es kaum Niederschlag gab und der Herbst vor der Tür stand, hatte Leonard zwar nicht erwartet, dass das Tal völlig grün war, dennoch beunruhigte ihn diese dunkle Färbung und er spürte, wie ein Stechen sein Rückgrat hinaufkletterte. Es sah einfach nicht richtig aus. Trostlosigkeit befleckte das Tal. Die Leere einer verlassenen Stadt? Nein. Es war eindeutig mehr als das. Etwas Bedrohlicheres.
Als sie sich dem Stadtrand näherten, wurde ihm klar, was der Ursprung der Trostlosigkeit war. Der Erdboden war, soweit er sehen konnte, abgebrannt.
Eine Vielfalt seltsamer Pflanzen und gelber Gräser hatten sich in der zerfurchten Landschaft breitgemacht und tauchten um die geschwärzten Bäume herum auf; ein vergeblicher Versuch der Natur, das Ausmaß der Zerstörung zu mildern.
Während der letzten Kilometer des Abstiegs verursachte der Grad der Trostlosigkeit bei Leonard Entsetzen. Es schien, als ob jedes Gebäude der einst so lebendigen Gemeinschaft entweder heruntergebrannt oder zerbombt worden war und nur noch der Damm zum Erhalt des Stausees unversehrt war. Der Lake Dillon funkelte in der Morgensonne, doch das Glitzern schien in dem scheußlichen Landschaftsbild fehlplatziert.
Was zum Teufel ist hier passiert?
Kapitel Vierunddreißig
Für die Dauer der Fahrt versuchte sich Leonard von seinen Gefühlen zu lösen und starrte seine Umgebung wie ein Reisender an, der sich in einem fremden Land befand.
Chester Woods führte sie durch die verkohlten Ruinen von Dillon und in die Randgebiete des White River National Forests ebenso wie über die Überreste des Highway 6. Die Straße war stark zerbombt und flüchtig mit Brettern und Betonplatten repariert worden, sodass sich ein extrem vorsichtiger Motorradfahrer auf ihr fortbewegen konnte, aber für ein Auto wäre sie unbefahrbar. Doch Chester und Aiden brachten die beiden mit ihren geschickten Fahrfertigkeiten in Sicherheit. Nach einigen Kilometern auf der beschädigten Autobahn kamen sie wieder auf eine befahrbare Straße mit nur wenigen Schlaglöchern.
Als sie an der Heimstätte der Familie Woods ankamen, wurden sie von einem unfassbaren und ungewöhnlichen Anblick begrüßt. Ziegen und Hühner liefen in Ställen herum. Ein großes Zelt aus einer durchsichtigen Plastikplane stand in einem sonnenbeschienenen Feld. Es schien ein Gewächshaus darzustellen. Leonard vermutete, dass sie die Bäume gefällt hatten, damit das Gewächshaus genügend Sonnenlicht abbekam, um einen kleinen, bescheidenen Gemüsegarten anlegen zu können. Ein beachtlicher Bach plätscherte leise, nicht mal hundert Meter von der Hütte der Familie Woods entfernt, vor sich hin. Ihre Hütte war ein kleines Häuschen, das mit neuem Holz und den Überresten zerstörter Gebäude zusammengeflickt worden war.
Sobald die Motoren verstummt waren, kam ein schwarzer Labrador angerannt, um die Reisenden zu begrüßen. Er wackelte begeistert mit dem Schwanz, rannte im Kreis und bellte vergnügt.
„Hey, Hayek“, rief Aiden, sodass der Labrador zu ihm hinüberlief und über die Hand des Teenagers leckte.
Aiden führte Leonard und Natalia zu einem Badezimmer in der Hütte, das aus einer Wasserpumpe, einigen Eimern und einem gefliesten Waschbereich bestand.
„Wenn ihr die Toilette benutzen müsst, die ist im hinteren Garten.“
Leonard erwartete, dass Natalia bei dem Gedanken, ein Plumpsklo benutzen zu müssen, zusammenzuckte und war daher überrascht, einen freundlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht zu sehen.
Aiden öffnete einen kleinen Schrank und deutete auf einen Stapel grüner Handtücher. „Hier sind die Handtücher. Ich werde dir etwas Wasser warm machen“, sagte er zu Natalia.
„Mir reicht kaltes Wasser“, sagte Leonard, als ob es irgendwen interessiert hätte.
„Und ich habe vielleicht noch ein paar saubere Jogginganzüge“, fügte der Junge hinzu. „Sie werden dir etwas zu groß sein, aber du kannst sie ja hochkrempeln.“
Leonard huschte in das Badezimmer, schloss die Tür und ließ den Haken in eine Öse an der Wand fallen, sodass wenigstens eine dünne Schicht Privatsphäre gegeben war. Er füllte einen Eimer mit Wasser und spritzte es sich ins Gesicht. Die kalte Flüssigkeit regte seine Sinne an, anschließend wusch er seinen Nacken und seine Arme. Er hatte nicht bemerkt, wie schmutzig er während der letzten achtundvierzig Stunden geworden war.
Nachdem Leonard und
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