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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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Präsident…“ Er seufzte. „…mit dreißig statt fünfunddreißig.“
    Leonard versuchte, die Bedeutung dieser neuen Information zu erfassen. Warum sich die Mühe machen?
    „Verstehst du, was ich sage?“
    „Ähm…“ stammelte Leonard. Worte aus der Stehlen–Dokumentation schwebten durch seinen Kopf. In der gegenwärtigen Krise würde ich sagen, je jünger, desto besser. „Somit konnte Stehlen überhaupt erst zum Präsidenten gewählt werden.“ Er lächelte triumphierend.
    Chester legte seinen Kopf in eine Hand. Als er wieder aufsah, dominierte Empörung seinen Gesichtsausdruck. „Er war schon lange Präsident, bevor wir überhaupt darüber informiert wurden, Leonard. Er brach über das Land herein wie ein politischer Blitzkrieg, er tauchte aus dem Nichts auf. Er leitete das Repräsentantenhaus, als er zwanzig war. Den Senat mit fünfundzwanzig. Und als er seine Vereidigung zum Präsidenten ablegte, war er biologisch gesehen dreißigeinhalb Jahre alt.“
    „Wie ist das möglich?“
    „Er erfand eine falsche Identität, nachdem er die High School abgeschlossen hatte. Legte sich einen neuen Namen zu und fälschte einen Uni–Abschluss in Politikwissenschaft.“
    Leonard hörte aufmerksam zu und traute sich nicht, zu sprechen.
    „Ich kann nicht glauben, dass du das nicht wusstest!“, schrie er und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Mein Gott. Im gesamten Land wurden Millionen Menschen von der Regierung eingesperrt oder getötet und du willst von der ganzen Korruption nichts gemerkt haben, während sie sich ausgebreitet hat?“
    Leonard sah zu Boden.
    Der bärtige Mann seufzte und wendete sich Natalia zu. „Am Anfang sind die Menschen also hier hingezogen, in der Hoffnung, so weit wie möglich von dem, was in der Stadt vor sich ging, wegzukommen. Häuser wurden neu zugewiesen, Banken und Hypotheken verstaatlicht. Wir haben ein Tauschsystem in Gang gesetzt, als der Staat anfing, Firmen zu übernehmen und Kleinbetriebe zu vernichten. Ich vermute, man hat von unseren Unternehmungen auch im Großraum Denver gehört. Eine weitere Welle Siedler kam an, als die Regierung begann, den Lehrplan der öffentlichen Schulen radikal zu ändern.“
    „Die Schulen hier waren keine BMSS–Schulen?“, fragte Natalia.
    „Nun ja, das waren sie, aber die Jugendbrigade und die radikale neue Ideologie wurden zuerst in den Großstädten eingeführt. Das BM wusste, dass früher oder später alle Bürger in die Großstädte umgesiedelt werden würden. Ich glaube, die Regierung wollte die Lehrer auf dem Land nicht alle neu ausbilden lassen müssen.“
    „Oh.“
    „Dann fingen sie natürlich an, Computer zu beschlagnahmen. Das war dann für die, die immer noch abwarteten , schließlich der ausschlaggebende Grund auszureisen. Als dann die Mauer errichtet wurde, war es zu spät. Ohne die Erlaubnis des Amts für Wohnungswesen und Umsiedlung durfte niemand mehr umziehen.“
    „Warum hat niemand protestiert?“, fragte Leonard leise.
    „Sieh mal einer an. Unser Mr. Alleswisser.“
    „Die Menschen, die es gemerkt haben“, sagte Leonard, „warum haben sie nicht protestiert?“
    „Protestierende mussten schnell lernen, dass es schwere Folgen hatte, wenn man seine Stimme erhob. Ihre Geschäfte wurden in weniger als vierundzwanzig Stunden konfisziert, Akten und das Inventar wurden vernichtet. Gebäude verunstaltet. Einige erhielten grauenhafte Unterkunftszuweisungen. Oder schlimmer noch, sie wurden aufgrund fragwürdiger Anschuldigungen ins Gefängnis gesteckt“, sagte er verbittert. Dann wurden seine Gesichtszüge weicher. „Nur allzu oft wurden Drohungen gegen die Angehörigen der Andersdenkenden ausgesprochen. Helden sind gewillt, für ihre Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen, aber sobald Familie und Freunde bedroht werden, ist es eine ganz andere Last, die sie zu tragen haben.“
    Leonard biss sich auf die Lippe. Eine weitere Welle der Scham übermannte ihn.
    „Nachdem Stehlen den Nationalen Notstand ausgerufen hatte, war es für die Regierung natürlich relativ leicht, die Leute zusammenzutreiben.“ Chester hielt einen Moment inne.
    „Und es kamen neue Leute nach Denver“, sagte Natalia. „Als ich in der Grundschule war, kamen jede Menge neue Kinder aus allen möglichen Staaten zu uns.“
    Chester richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Natalia. „Der CARS–Betrug machte es der Regierung möglich, die Menschen, die noch in kleineren Städten auf das Land verteilt lebten, zusammenzutreiben. Es waren Busse,

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