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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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lauschte dem Wind, der an den Mauern nagte. Etwa jede Stunde stand er auf, ging zu dem behelfsmäßigen Ofen und legte frisches Treibholz vom Stapel daneben nach. Nichts von alledem war real, aber Kälte war Kälte.
    Sie war nicht real, wie sie da auf der Seite zusammengerollt im Feuerschein lag. Er betrachtete ihren Mund, die leicht geöffneten Lippen. Sie war das Mädchen, das er von ihrer gemeinsamen Fahrt über die Bucht her in Erinnerung hatte, und das war grausam.
    »Echt fies von dir, du Dreckstück«, flüsterte er in den Wind. »Gehst kein Risiko ein, hm? Wolltest mir keinen x-beliebigen Junkie vorsetzen, was? Ich weiß, was los ist …« Er bemühte sich, die Verzweiflung aus seiner Stimme zu verbannen. »Ich weiß Bescheid, hörst du? Ich weiß, wer du bist. Du bist der andere. 3Jane hat’s Molly gesagt. Der brennende Busch. Das war nicht Wintermute, das warst du. Er wollte mich durch die Braun davon abbringen. Jetzt hast du mich hirntot gemacht, und ich bin hier. Nirgendwo. Mit einem Gespenst. So, wie ich sie von früher in Erinnerung habe …«
    Sie regte sich im Schlaf, rief etwas, zog sich ein Stück Decke über Schulter und Wange.

    »Du bist nichts«, sagte er zu dem schlafenden Mädchen. »Du bist tot, und du warst mir sowieso scheißegal. Hörst du, Kumpel? Ich weiß, was du tust. Ich bin hirntot. Das geht doch alles erst so zwanzig Sekunden, stimmt’s? Du hast mir in der Bibliothek einen Tritt in den Hintern verpasst, und nun ist mein Hirn tot. Und bald isses richtig tot, wenn du auch nur’nen Funken Verstand hast. Du willst nicht, dass Wintermute dieses Ding durchzieht, weiter nichts. Also setzt du mich einfach hier fest. Dixie lässt das Kuang laufen, aber der Arsch ist tot, und du kannst seine Schritte bestimmt voraussehen. Dieser Linda-Scheiß, ja, das warst alles du, hab ich Recht? Wintermute wollte sie benutzen, als er mich in die Chiba-Konstruktion eingeschleust hat, aber es ist ihm nicht gelungen. War zu knifflig, hat er gesagt. Und du hast auch die Sterne in Freeside rumgeschoben, oder? Du hast ihr Gesicht auf die tote Puppe in Ashpools Zimmer gepflanzt. Molly hat das nicht gesehn. Du hast einfach ihr Simstim-Signal frisiert. Weil du glaubst, dass du mir wehtun kannst. Du glaubst, es macht mir was aus. Leck mich am Arsch, wie immer du heißt! Du hast gewonnen. Du gewinnst. Aber mir ist das alles völlig schnuppe, klar? Glaubst du, das macht mir was aus? Wozu treibst du überhaupt so’n Spiel mit mir?« Seine Stimme war schrill, und er zitterte wieder.
    »Süßer«, sagte sie und wühlte sich aus den zerlumpten Decken, »komm her und schlaf! Ich bleib wach, wenn du willst. Du musst schlafen.« Die Schlaftrunkenheit verstärkte ihren leichten Akzent. »Schlaf jetzt, ja?«
     
    Als er aufwachte, war sie weg. Das Feuer war aus, aber es war warm im Bunker; Sonnenlicht fiel schräg durch den Eingang und warf ein schiefes, goldenes Viereck auf die aufgeschlitzte Seite eines großen Glasfaserbehälters. Das Ding war ein Frachtcontainer, wie er sie von den Docks in Chiba her kannte.
Durch den Schlitz in der Seite sah er ein halbes Dutzend goldgelber Pakete. Im Sonnenschein glänzten sie wie übergroße Butterstücke. Sein Magen krampfte sich vor Hunger zusammen. Er wälzte sich aus dem Nest, ging zu dem Container und fischte eins der Dinger heraus. Blinzelnd las er die kleingedruckte Aufschrift in einem Dutzend Sprachen. NOTRATION, PROTEINREICH, »FLEISCH«, TYP AG-8. Darunter eine Nährwertanalyse. Er angelte ein zweites Päckchen heraus. »EIER«.
    »Wenn du den ganzen Scheiß fabrizierst«, sagte er, »könnteste auch mal’ne richtige Mahlzeit rüberwachsen lassen, ja?« Ein Päckchen in jeder Hand, ging er durch die vier Räume des Bunkers. Zwei waren bis auf ein paar Sandhaufen leer, im vierten standen drei weitere Container mit Notrationen. »Klar«, sagte er, über die Siegel streichend. »Langer Aufenthalt. Schon kapiert. Na klar …«
    Er durchsuchte den Raum mit der Feuerstelle und entdeckte einen Plastikkanister, der vermutlich mit Regenwasser gefüllt war. An der Wand neben dem Nest aus Decken lagen ein billiges, rotes Feuerzeug, ein Matrosenmesser mit einem rissigen, grünen Griff und ihr Schal. Er war noch zusammengeknotet und steif von Dreck und Schweiß. Mit dem Messer schlitzte er die gelben Päckchen auf und kippte den Inhalt dann in eine rostige Dose, die er neben dem Ofen entdeckte. Er goss etwas Wasser aus dem Kanister dazu, mischte den entstehenden Brei mit den Fingern

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