Neuromancer-Trilogie
der allerdings in keine bestimmte Richtung zu führen schien. Die größeren Sträucher steckten zum Teil in dicken grünen Plastikmüllsäcken voller dunklem Humus. Viele davon waren aufgeplatzt, und bleiche Wurzeln suchten neue Nahrung im Schatten zwischen den UV-Lampen, wo Zeit und nach und nach gefallenes Laub gemeinsam eine dünne Kompostschicht erzeugten.
Bobby trug schwarze Nylonsandalen, die Jackie ihm besorgt hatte, aber er hatte bereits feuchte Erde zwischen den Zehen. »Ein Pferd?«, fragte er Beauvoir, während er geduckt einem stachligen Ding auswich, das entfernt an eine umgestülpte Palme erinnerte.
»Danbala reitet sie, Danbala Wedo, die Schlange. Manchmal ist sie auch das Pferd von Aida Wedo, Danbalas Weib.«
Bobby beschloss, nicht weiter nachzuhaken. Er versuchte, das Thema zu wechseln. »Wieso hat Two-a-Day eigentlich so’nen mordsmäßigen Bau? Und wozu die vielen Bäume und so?« Er wusste, dass Jackie und Rhea ihn im St.-Mary’s-Stuhl durch einen Eingang geschoben hatten, aber er hatte seither
keine Wände mehr zu Gesicht bekommen. Er wusste auch, dass die Arcologie sich über x Hektar erstreckte, so dass Two-a-Days Bleibe durchaus riesig sein konnte; dennoch war es unwahrscheinlich, dass sich ein – wenn auch noch so heißer – Softwarehändler so was Großes leisten konnte. Niemand konnte sich so was Großes leisten, und überhaupt: Weshalb sollte jemand in einem tropfenden Hydrokulturwald leben wollen?
Die Wirkung des letzten Derms ließ jetzt allmählich nach, und Rücken und Brust begannen zu brennen und zu schmerzen.
»Feigenbäume, Mapous … Dieses ganze Projects-Geschoss ist ein lieu saint , ein heiliger Ort.« Beauvoir tippte Bobby auf die Schulter und deutete auf verzwirbelte, zweifarbige Schnüre, die von den Ästen eines Baumes in der Nähe hingen. »Die Bäume sind verschiedenen Loa geweiht. Der da ist für Ougou, Ougou Feray, den Gott des Krieges. Hier oben werden auch viele andere Dinge gezüchtet, Kräuter für die Kräutermedizin und andere Sachen nur so zum Spaß. Aber es ist nicht Two-a-Days Wohnung, sondern es gehört der Allgemeinheit.«
»Heißt das, die gesamten Projects machen da mit? Alles Voodoo-Freaks und so?« Das war ja schlimmer als in Marshas finstersten Phantasien.
»Nee, Mann.« Beauvoir lachte. »Oben auf dem Dach steht’ne Moschee , außerdem gibt’s hier an die zehntausend Holyroller-Baptisten und’n paar Scientology-Leute. Das Übliche halt. Allerdings« – er grinste – »sind wir diejenigen mit der Tradition, Dinge geregelt zu kriegen … Aber wie das hier anfing mit diesem Geschoss, das ist eine alte Geschichte. Die Leute, die diese Bauten hier vor achtzig bis hundert Jahren geplant haben, wollten sie so autark wie möglich machen: eigene Nahrungsmittelproduktion, eigene Wärmeversorgung, eigene Stromerzeugung und so weiter. Dieser Bau sitzt auf einem riesigen
geothermischen Wasserreservoir, wenn man nur tief genug bohrt. Ist echt heiß da unten, aber nicht heiß genug für Turbinen, so dass sich damit kein Strom erzeugen lässt. Die Stromerzeugung gingen sie auf dem Dach oben mit rund hundert Darrieus-Rotoren an, den sogenannten Quirlen.’ne richtige Windfarm. Heute beziehen sie ihre Watt größtenteils von der Fission Authority, wie alle andern auch. Aber das geothermische Wasser pumpen sie in einen Wärmetauscher rauf. Es ist zu salzig zum Trinken, also heizt es über den Wärmetauscher nur das übliche Leitungswasser aus Jersey auf, das viele allerdings auch für ungenießbar halten …«
Endlich näherten sie sich einer Art Wand. Bobby blickte zurück. Flache Tümpel auf dem schlammigen Betonboden reflektierten die Äste und Zweige der Zwergbäume, deren nackte, fahle Wurzeln sich in die provisorischen Hydrokulturbehälter mit der Nährlösung streckten.
»Dann pumpen sie’s in die Garnelenbecken und züchten’ne Menge Garnelen. Garnelen wachsen rasant in warmem Wasser. Danach pumpen sie es durch Rohre im Beton hier rauf, um diesen Raum zu beheizen. In diesem Geschoss wollten sie nämlich mal Amaranth, Salat und so in Hydro ziehen. Hinterher pumpen sie’s raus in die Welsbecken, wo die Algen die Garnelenscheiße verwerten. Die Welse ernähren sich von den Algen, und dann geht das Ganze wieder von vorne los. Zumindest war’s so geplant. Wahrscheinlich sind sie gar nicht auf die Idee gekommen, dass jemand aufs Dach steigen und die Darrieus-Rotoren runterschmeißen könnte, um Platz für eine Moschee zu schaffen, und viele andere
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