Neuromancer-Trilogie
scharlachrote Tapeten. Er hatte diesen Wohnstil in den Zimmern von Gothicks gesehen, sofern sie sich’s leisten konnten, aber auch bei ihren Eltern, die komplette Wohnungen auf diese Weise dekorierten. Rhea warf ein Bündel Kleider auf den Temperschaum und steckte die Hände in die Taschen einer schwarzen Lederjacke.
Die schwarz-pink karierte Decke bauschte sich um seine Taille. Er blickte an sich hinunter und sah den gegliederten Tausendfüßler, der in eine fingerbreite, frische, rosige Narbe eingewachsen war. Beauvoir hatte gesagt, das Ding würde die Heilung beschleunigen. Er berührte das helle, neue Gewebe zaghaft mit der Fingerkuppe; es war empfindlich, tat jedoch nicht mehr so weh. Er schaute zu Rhea auf. »Beweg du doch deinen Arsch hier drauf«, sagte er und zeigte ihr den Finger.
Sie funkelten sich einen Moment über Bobbys hochgereckten Mittelfinger hinweg an. Dann lachte sie. »Okay«, sagte sie. »Du hast Recht. Ich lass dich zufrieden. Aber jetzt nimm die Sachen und zieh dich an! Irgendwas wird schon passen. Lucas
kommt dich jeden Moment abholen, und er mag’s nicht, wenn man ihn warten lässt.«
»So? Also ich finde, er ist’n ziemlich lockerer Typ.« Bobby wühlte in dem Kleiderhaufen und sonderte ein schwarzes Hemd mit ausgewaschenem goldenem Paisley-Muster aus, ein rotes Satinding mit weißen Kunstlederstreifen an den Ärmeln, eine Art schwarzes Trikot mit Einsätzen aus irgendeinem durchsichtigem Material … »He«, sagte er, »wo haste denn den Kram her? So’nen Mist kann ich doch nicht anziehen.«
»Ist von meinem kleinen Bruder«, sagte Rhea. »Von letztem Jahr. Und jetzt sieh zu, dass du was über deinen weißen Arsch kriegst, bevor Lucas kommt. He, das ist meins.« Sie riss ihm das Trikot aus der Hand, als befürchtete sie, er könnte es ihr wegnehmen.
Er schlüpfte in das schwarzgoldene Hemd und hantierte mit gewölbten Druckknöpfen aus schwarzen Kunstperlen herum. Er entdeckte eine schwarze Jeans, aber die war sehr weit geschnitten und hatte reichlich Bundfalten, jedoch keine Taschen. »Ist das die einzige Hose, die du hast?«
»Herrgott«, sagte sie. »Ich hab die Sachen gesehn, die Pye dir vom Leib geschnitten hat, Mann. Du bist nicht grade das, was man sich unter’nem Modefreak vorstellen würde. Nun zieh dich mal an, okay? Ich will keinen Ärger mit Lucas. Mag sein, dass er dir auf die sanfte Tour kommt, aber das heißt nur, dass du was hast, worauf er so scharf ist, dass er sich diese Mühe macht. Ich hab so was garantiert nicht, deshalb hat er bei mir weniger Hemmungen.«
Er stand schwankend neben der Matte und wollte den Reißverschluss der schwarzen Jeans zuziehen. »Kein Reißverschluss«, sagte er und sah sie an.
»Knöpfe. Irgendwo da drin. Ist nun mal der Stil .«
Bobby fand die Knöpfe. Es war eine mühsame Angelegenheit, und er fragte sich, was passieren würde, wenn er dringend
pissen musste. Er sah die schwarzen Nylonsandalen neben der Matte und schlüpfte hinein. »Was ist mit Jackie?«, fragte er und schlappte zu einer Stelle, wo er sich in den goldgerahmten Spiegeln sehen konnte. »Hat Lucas bei ihr Hemmungen?« Er beobachtete sie im Spiegel und sah etwas über ihr Gesicht huschen.
»Was soll das heißen?«
»Beauvoir hat mir gesagt, sie ist’n Pferd …«
»Halt die Klappe.« Ihre Stimme war leise und eindringlich. »Wenn Beauvoir so was zu dir sagt, ist das sein Bier. Ansonsten redet man nicht über so was, kapiert? Es gibt Sachen, die sind so schlimm, dass du dir wünschen würdest, du wärst wieder da draußen, wo sie dir bloß den Arsch aufreißen.«
Er betrachtete ihre Augen im Spiegel, dunkle Augen im Schatten des breitkrempigen weichen Filzhuts. Jetzt schienen sie ein bisschen mehr Weiß zu zeigen als zuvor.
»Okay«, sagte er nach einer Pause und fügte dann hinzu: »Danke.« Er fummelte am Hemdkragen rum, stellte ihn hinten auf, klappte ihn wieder um und probierte verschiedene Möglichkeiten aus.
»Weißt du«, sagte Rhea und stellte den Kopf schief, »wenn du was anhast, siehste gar nicht übel aus. Außer dass du Augen hast wie zwei Pisslöcher im Schnee.«
»Lucas«, sagte Bobby, als sie im Aufzug standen, »wisst ihr, wer meine alte Dame erledigt hat?« Er hatte nicht vorgehabt, ihm diese Frage zu stellen, aber irgendwie war sie wie eine Sumpfgasblase nach oben gestiegen.
Lucas betrachtete ihn wohlwollend. Sein langes, schwarzes Gesicht war ruhig. Sein schwarzer, gut geschnittener Anzug sah aus wie frisch gebügelt. Er trug einen
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