Neuromancer-Trilogie
natürlich bestand dabei immer die Chance, einen Glückstreffer zu landen. Sie hatte sich eingeredet, tatsächlich einen gelandet zu haben, als Alain den gefälschten Cornell als wunderbaren Zufallsfund aus dem Hut zauberte. Cornell hatte seinen festen Platz auf der Kurstafel, und seine »Punkte« waren sehr teuer.
»Picard«, sagte Paco, als würde er einen Bediensteten anreden, »das ist Marly Kruschkowa. Señor hat sie in der Angelegenheit der anonymen Kästen hinzugezogen. Sie wird Ihnen vielleicht ein paar Fragen stellen wollen.«
»Sehr erfreut«, sagte Picard und lächelte herzlich, aber Marly glaubte, ein Flackern in seinen braunen Augen zu sehen. Höchstwahrscheinlich versuchte er, ihren Namen mit einem Skandal der letzten Zeit in Verbindung zu bringen.
»Wie ich höre, hat Ihre Galerie die Transaktion durchgeführt?«
»Ja«, sagte Picard. »Wir hatten das Werk in unseren New Yorker Räumen ausgestellt, was uns eine Reihe von Angeboten einbrachte. Wir beschlossen jedoch, es auch in Paris zu zeigen.« Er strahlte. »Eine Entscheidung, die sich dank Ihres Arbeitgebers bestens ausgezahlt hat. Wie geht es Herrn Virek, Estevez? Wir haben ihn seit Wochen nicht mehr gesehen.«
Marly warf Paco einen raschen Blick zu, aber sein dunkles Gesicht war gelassen und völlig beherrscht.
»Señor geht es sehr gut, soweit ich weiß«, sagte er kurz.
»Ausgezeichnet«, sagte Picard. Seine Begeisterung wirkte ein wenig übertrieben. Er wandte sich an Marly. »Ein wunderbarer Mann. Eine Legende. Ein großer Kenner und Förderer der Kunst.«
Marly glaubte, Paco seufzen zu hören.
»Könnten Sie mir bitte sagen, woher Ihre Filiale in New York das fragliche Werk bekommen hat?«
Picard machte ein erstauntes Gesicht. Er blickte zu Paco und sah dann wieder Marly an. »Das wissen Sie nicht? Hat man Ihnen das denn nicht gesagt?«
»Sagen Sie es mir bitte.«
»Tut mir leid«, erwiderte Picard, »das kann ich nicht. Wir wissen es nämlich nicht.«
Marly sah ihn mit großen Augen an. »Verzeihung, aber ich verstehe nicht, wie das möglich sein soll …«
»Sie hat den Bericht nicht gelesen, Picard. Erzählen Sie’s ihr. Es wird ihre Intuition beflügeln, wenn sie’s aus Ihrem Mund hört.«
Picard warf Paco einen seltsamen Blick zu, hatte sich dann jedoch sofort wieder im Griff. »Aber sicher«, sagte er. »Mit Vergnügen.«
»Glaubst du, es stimmt?«, fragte sie Paco, als sie auf die Faubourg St. Honoré in die Sommersonne hinaustraten. Es wimmelte nur so von japanischen Touristen.
»Ich bin selber im Sprawl gewesen«, sagte Paco, »und habe mich mit allen Beteiligten unterhalten. Roberts hat keine Unterlagen über den Ankauf hinterlassen, obwohl er normalerweise kein größerer Geheimniskrämer war als jeder andere Kunsthändler auch.«
»Und sein Tod war ein Unfall?«
Er setzte eine verspiegelte Porsche-Brille auf. »Wer weiß das schon so genau. Wir haben keine Möglichkeit, in Erfahrung zu bringen, wo oder wann er das Stück erworben hat. Wir fanden es hier vor acht Monaten, und alle Spuren, die wir zurückverfolgt haben, enden bei Roberts, und Roberts ist schon seit einem Jahr tot. Picard hat dir leider nicht gesagt, dass sie das Ding um ein Haar verloren hätten. Roberts bewahrte es neben
zahlreichen anderen Sachen, die seine Hinterbliebenen für reine Kuriositäten hielten, in seinem Landhaus auf. Beinahe hätten sie die ganze Sammlung öffentlich versteigern lassen. Manchmal wünschte ich, sie hätten’s getan.«
»Diese anderen Sachen«, fragte sie, neben ihm hergehend, »worum handelt es sich da?«
Er lächelte. »Glaubst du, wir hätten nicht über jedes einzelne Stück Nachforschungen angestellt? Das haben wir. Es handelte sich« – er runzelte die Stirn, wobei er die Anstrengung der Gedächtnisarbeit übertrieb – »um ›eine Reihe relativ bedeutungsloser Stücke zeitgenössischer Volkskunst‹.«
»War Roberts für sein Interesse an solchen Sachen bekannt?«
»Nein«, sagte Paco, »aber wir wissen, dass er etwa ein Jahr vor seinem Tod eine Mitgliedschaft im Institut de l’ Art Brut hier in Paris beantragte und Förderer der Aeschmann-Sammlung in Hamburg wurde.«
Marly nickte. Die Aeschmann-Sammlung war auf Arbeiten von Psychotikern beschränkt.
»Wir sind ziemlich sicher«, fuhr Paco fort, während er sie beim Ellbogen fasste und um die Ecke in eine Seitenstraße führte, »dass er keinen Versuch unternommen hat, die Ressourcen der beiden Institute anzuzapfen, es sei denn, er hätte es
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