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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Shorter Oxford English Dictionary , sechste Ausgabe, das Küchenfenster blockierte, damit es offen blieb. Auf dem steinernen Fensterbrett hatte Andrea eine Art Sperrholzbord festgeklemmt, das breit genug war für den kleinen Tischgrill, den sie unter der Spüle aufbewahrte. Gerade verteilte sie die schwarzen Holzkohlewürfel ordentlich in der Grillwanne. »Ich hab mich heute über deinen Arbeitgeber unterhalten«, sagte sie, stellte den Grill auf das Sperrholzbord und steckte die grünliche Brennpaste mit dem Gasanzünder vom Herd an. »Unser Akademiker aus Nizza war da. Es ist ihm ein Rätsel, weshalb ich mich ausgerechnet für Josef Virek interessiere, aber da er ein geiler alter Bock ist, war er hellauf begeistert, mit mir reden zu können.«
    Marly stand daneben und schaute zu, wie die fast unsichtbaren Flammen um die Kohlen züngelten.
    »Er kam ständig auf die Tessier-Ashpools zu sprechen«, fuhr Andrea fort, »und auf Hughes. Hughes, ein Amerikaner, hat Mitte bis Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelebt. Er kommt auch im Buch vor, quasi als Prototyp von Virek. Ich hatte gar nicht gewusst, dass der Tessier-Ashpool-Clan schon in Auflösung begriffen ist …« Sie ging zur Arbeitsfläche und wickelte sechs große Garnelen aus.

    »Sind das nicht Franko-Australier? Ich glaube, ich hab mal eine Dokumentation gesehen. Denen gehört doch eins der großen Ferienzentren.«
    »Freeside. Ist inzwischen verkauft, sagt mein Professor. Anscheinend hat eine der Töchter des alten Ashpool die Macht über das ganze Wirtschaftsimperium an sich reißen können und ist immer exzentrischer geworden. Deshalb ist es mit dem Clan im Lauf der letzten sieben Jahre rapide bergab gegangen.«
    »Und was soll das mit Virek zu tun haben?« Marly sah zu, wie Andrea die Garnelen jeweils auf einen langen Bambusstab spießte.
    »Da kann ich auch nur raten. Mein Professor behauptet, dass sowohl Virek als auch Tessier-Ashpool faszinierende Anachronismen sind und dass man einiges über die Evolution von Unternehmen lernen kann, wenn man sie unter die Lupe nimmt. Zumindest hat er einen ausreichenden Prozentsatz unserer Cheflektoren davon überzeugen können.«
    »Aber wie hat er sich über Virek geäußert?«
    »Dass Vireks Wahnsinn eine andere Form annehmen würde.«
    »Wahnsinn?«
    »Eigentlich hat er diese Bezeichnung dafür gemieden. Aber Hughes hatte wohl’ne echte Meise unterm Pony, der alte Ashpool auch, und seine Tochter war völlig ausgeflippt. Er hat gesagt, Virek würde durch evolutionäre Zwänge genötigt, eine Art ›Sprung‹ zu machen. ›Sprung‹ war sein Wort.«
    »Evolutionäre Zwänge?«
    »Ja«, sagte Andrea und trug die aufgespießten Garnelen zum Grill. »Er redet von Unternehmen, als ob sie irgendwelche Tiere wären.«
     
    Nach dem Abendessen gingen sie spazieren. Marly ertappte sich hin und wieder dabei, wie sie angestrengt ihre Fühler
nach Vireks imaginärem Überwachungsapparat ausstreckte, aber Andrea erfüllte den Abend mit ihrer üblichen menschlichen Wärme und ihrer praktisch-nüchternen Art, so dass Marly froh war, durch eine Stadt zu schlendern, in der alles einfach nur das war, was es darstellte. Was konnte in Vireks Welt einfach sein? Marly dachte an den Messingknauf in der Galerie Duperey, der sich so unbeschreiblich unter ihren Fingern gewunden hatte, als er sie in Vireks Modell des Parque Güell versetzte. Ob Virek immer in Gaudis Park war, an einem Nachmittag ohne Ende? Señor ist reich. Señor verfügt über viele Mittel und Wege, in Erscheinung zu treten. Sie erschauerte in der lauen Abendluft und rückte näher an Andrea heran.
    Das Unheimliche an einer Simstim-Konstruktion war, dass sie suggerierte, jede Umgebung könnte unwirklich sein, die Schaufenster, die sie gerade mit Andrea passierte, könnten pure Einbildung sein. Spiegel, so hatte mal jemand gesagt, seien in gewissem Sinn von Grund auf ungesund; das galt erst recht für Konstruktionen, fand sie.
    Andrea machte an einem Kiosk halt, um sich ihre englischen Zigaretten und die neue Elle zu kaufen. Marly wartete auf dem Bürgersteig, wo der Passantenstrom sich automatisch teilte. Gesichter glitten an ihr vorbei, Studenten, Geschäftsleute und Touristen. Manche von ihnen gehörten vermutlich zu Vireks Apparat und waren mit Paco verbunden. Paco mit den braunen Augen, locker und ernsthaft zugleich, die Muskeln, die sich unter dem Hemd aus merzerisierter Baumwolle bewegten. Paco, der sein Leben lang für Señor gearbeitet hatte …
    »Ist was? Du

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