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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Frau, auf ihrem knarzenden Rattanstuhl. Ihre Zigarette leuchtete wie ein rotes Auge im Dunkeln. »In Zungen sprechen.«
    »Was ist das?«
    »Na, was deine Kleine da oben gemacht hat. Kannst du Französisch?«
    »Nein, nicht viel. Nicht ohne Wörterbuch.«
    »Teilweise klang’s wie Französisch.« Die rote Glut wurde einen Moment lang zu einem kurzen Strich, als sie die Asche
abklopfte. »Als ich noch klein war, hat mich mein alter Herr mal in ein Stadion mitgenommen, und ich hab gesehn, wie sie da Zeugnis ablegten und in Zungen sprachen. Hat mir Angst gemacht. Ich glaube, es hat mir noch mehr Angst gemacht, als sie heute damit anfing.«
    »Rudy hat den Schluss aufgezeichnet, oder?«
    »Ja. Weißt du, Rudy geht’s nicht besonders. Das ist der Hauptgrund, warum ich wieder zu ihm gezogen bin. Ich hab ihm erklärt, ich würd ihn verlassen, wenn er sich nicht zusammenreißt, aber dann wurd’s echt so schlimm, dass ich vor zwei Wochen wieder hier eingezogen bin. Ich war drauf und dran, wieder zu gehen, als ihr aufgetaucht seid.« Die Zigarettenglut flog im Bogen übers Verandageländer und landete auf dem Kies, mit dem der Hof bestreut war.
    »Trinkt er?«
    »Ja, und dann noch das Zeug, das er sich selber braut, im Labor. Du weißt ja, der Kerl versteht von so gut wie allem ein bisschen was. Er hat noch viele Freunde hier in der Gegend, die erzählen oft von der Zeit, als ihr noch Kinder wart, bevor du weg bist.«
    »Rudy hätte auch weggehen sollen.«
    »Er hasst die Stadt. Er sagt, es kommt sowieso alles per Kabel ins Haus, wozu also noch selber da hingehn?«
    »Ich bin weg, weil hier nichts passiert ist. Rudy hat sich immer mit irgendwas beschäftigen können. Kann er auch jetzt noch, wie’s aussieht.«
    »Du hättest wenigstens mit ihm in Verbindung bleiben sollen. Er hätte dich hier gebraucht, als eure Mutter im Sterben lag.«
    »Ich war in Berlin. Konnte nicht weg.«
    »Glaub ich dir gern. Ich war damals auch noch nicht hier. Bin erst später gekommen. Das war’n guter Sommer. Rudy hat mich aus so’nem miesen Club in Memphis rausgeholt. Ist
eines Abends mit’n paar Landeiern da aufgetaucht, und tags darauf war ich hier – warum, weiß ich auch nicht. Aber er war nett zu mir, damals, und lustig, so dass ich’ne Chance hatte, wieder’n bisschen auf den Boden zu kommen. Hat mir das Kochen beigebracht.« Sie lachte. »Fand ich echt gut. Nur vor den gottverdammten Hühnern hinterm Haus hatte ich Schiss.« Sie stand auf und streckte sich, und der alte Stuhl knarrte. Turner bemerkte, was für lange braune Beine sie hatte; er spürte ihren Duft und ihre sommerliche Hitze dicht an seinem Gesicht.
    Sie legte ihm die Hände auf die Schultern. Der braune Streifen Bauch über dem tiefsitzenden Bund ihrer Shorts war direkt vor seinen Augen. Ihr Nabel war ein weicher Schatten. Er dachte an Allison in dem weißen, leeren Zimmer, wollte das Gesicht auf ihren Bauch drücken und sie schmecken … Sie schien ein wenig zu schwanken, aber er war sich nicht sicher.
    »Turner«, sagte sie, »hier mit ihm, da fühl ich mich manchmal total einsam …«
    Also stand er auf, so dass die alte Schaukelkette rasselte, die mit Ringschrauben tief in der Spundung des Verandadachs verankert war, mit Ringschrauben, die sein Vater vielleicht vor vierzig Jahren eingeschraubt hatte, und küßte sie auf den sich öffnenden Mund, herausgelöst aus der Zeit durch das Gespräch, die Glühwürmchen und die unterschwelligen Auslöser der Erinnerungen, und während er die Hände über ihren warmen, bloßen Rücken unter dem weißen T-Shirt gleiten ließ, schien es ihm, als wären die Menschen in seinem Leben nicht wie eine Abfolge von Perlen auf einem Faden aufgereiht, sondern zusammengeballt wie Quanten, so dass er Sally ebenso gut kannte wie Rudy oder Allison oder Conroy oder das Mädchen, das Mitchells Tochter war.
    »He«, flüsterte sie, als sie sich von seinen Lippen löste, »komm jetzt mit rauf.«

18
    Namen der Toten
    Alain rief um fünf an und erkundigte sich, ob die Summe, die er verlangt hatte, zur Verfügung stehe. Sie kämpfte gegen den Abscheu an, den sie vor seiner Habgier empfand. Sorgfältig notierte sie die Adresse auf der Rückseite einer Karte, die sie von Picards Schreibtisch in der Galerie Roberts mitgenommen hatte. Zehn Minuten später kam Andrea von der Arbeit zurück. Marly war froh, dass ihre Freundin bei Alains Anruf nicht dagewesen war.
    Sie sah zu, wie Andrea mit dem abgegriffenen, blau eingebundenen zweiten Band des

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