Neuromancer-Trilogie
gleiten. Ihre Haut war kühl und schweißfeucht. Sie klammerte sich an ihn.
Er schloss die Augen und sah sich unter einem trägen Deckenventilator mit braunen Hartholzflügeln in einem sonnengestreiften Bett, sein Körper pumpend, zuckend wie ein amputiertes Glied, Allison mit zurückgeworfenem Kopf und aufgerissenem Mund, die Lippen straff über den Zähnen.
Angie drückte das Gesicht in die Kuhle an seinem Hals.
Sie stöhnte, versteifte sich und schob sich von ihm weg. »Mietling«, sagte die Stimme. Im Nu war er wieder in den Fahrersitz gedrückt; im Lauf der Smith & Wesson spiegelte sich die Armaturenbeleuchtung als grüner Strich, und der Leuchtpunkt am Korn verdeckte ihre linke Pupille.
»Nicht«, sagte die Stimme.
Er ließ die Waffe sinken. »Du bist wieder da.«
»Nein. Legba hat zu dir gesprochen. Ich bin Samedi.«
»Samstag?«
»Baron Samstag, Mietling. Du bist mir einmal an einem Hang begegnet. Blut lag auf dir wie Tau. An jenem Tag trank ich aus deinem vollen Herzen.« Ihr Körper zuckte heftig. »Du kennst dich gut aus in dieser Stadt …«
»Ja.« Er beobachtete, wie sich Muskeln in ihrem Gesicht verkrampften und entspannten und ihre Züge zu einer neuen Maske formten.
»Sehr gut. Lass das Fahrzeug hier stehen, wie du geplant hast, und folge den Stationen nach Norden. Nach New York. Heute Nacht. Dann führe ich dich mit Legbas Pferd, und du wirst für mich töten …«
»Wen?«
»Wen du am liebsten töten würdest, Mietling.«
Angie stöhnte, erschauerte und begann zu schluchzen.
»Ist schon gut«, sagte Turner. »Wir sind fast zu Hause.« Es war eine unsinnige Bemerkung, dachte er, als er ihr aus dem Sitz half; sie hatten beide kein Zuhause. Er suchte die Munitionsschachtel im Parka und ersetzte die Patrone, die er auf den Honda abgefeuert hatte. Im Werkzeugkasten unter dem Armaturenbrett fand er ein Rasiermesser voller Farbkleckse und trennte damit das reißfeste Futter aus dem Parka; Millionen isolierender PVC-Mikrofasern wirbelten auf. Nachdem er das Futter entfernt hatte, steckte er die Smith & Wesson ins Halfter und schlüpfte in den Parka, der jetzt wie ein übergroßer Regenmantel um ihn herumschlotterte, aber mit keiner Ausbuchtung die dicke Kanone verriet.
»Warum hast du das gemacht?«, fragte sie und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Weil’s draußen warm ist und ich den Revolver verstecken muss.« Er stopfte sich das Reißverschlusstäschchen mit den gebrauchten Neuen Yen in eine Tasche. »Na komm«, sagte er, »wir müssen die U-Bahn kriegen.«
Kondenswasser tröpfelte beständig von der alten Georgetown-Kuppel, die vierzig Jahre nach dem Rückzug der kränkelnden Regierung in die unteren Teile von McLean erbaut worden war. Washington war schon immer eine südlich geprägte Stadt gewesen, und wenn man von Boston aus Station um Station herunterfuhr, spürte man, wie sich der Charakter des Sprawl hier änderte. Die Bäume im District waren üppig und grün, und ihr Laub dämpfte das Licht der Bogenlampen, als Turner und Angela Mitchell auf den rissigen Bürgersteigen zur Dupont Circle Station gingen. Auf dem runden Platz war Getrommel zu hören, und im Marmorkelch des Riesen in der Mitte hatte jemand ein Feuer gemacht. Stumme Gestalten kauerten neben ihren ausgebreiteten Decken, auf denen ein surreales Warensortiment feilgeboten wurde: aufgeweichte Papphüllen schwarzer Plastikschallplatten, daneben abgestoßene prothetische Gliedmaßen mit primitiven Nervenanschlüssen, ein staubiges Goldfischglas voller länglicher Hundemarken aus Stahl, mit Gummibändchen gebündelte, ausgebleichte Ansichtskarten, billige Indo-Troden in transparenter Originalverpackung, bunt zusammengewürfelte Salzund Pfefferstreuer aus Keramik, ein Golfschläger, dessen Ledergriffband sich allmählich ablöste, Schweizer Armeemesser mit fehlenden Klingen, ein verbeulter Blechpapierkorb mit dem Gesicht eines Präsidenten, dessen Name (Carter? Grosvenor?) Turner auf der Zunge lag, unscharfe Hologramme vom Monument …
Im Halbdunkel am Eingang der Station feilschte Turner leise mit einem jungen Chinesen in weißer Jeans und tauschte
den kleinsten von Rudys Scheinen gegen neun Metallmünzen mit dem schmuckvollen BAMA-Transit-Logo ein.
Zwei Münzen verschafften ihnen Zutritt zur Station. Drei wanderten in Automaten, die üblen Muckefuck und fades Blätterteiggebäck ausspuckten. Die restlichen vier gingen für die Fahrt nach Norden drauf. Die Bahn glitt lautlos auf ihrem
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