Neuromancer-Trilogie
müssen mich reinlassen! Dann erfahren Sie mehr.«
»Virek?« Eine lange, von atmosphärischem Rauschen erfüllte Pause. »Josef Virek?«
»Ja«, sagte Marly, »genau der. Sie kennen sein Bild schon seit Ihrer Kindheit, das mit dem König von England … Bitte …«
»Geben Sie mir die Pilotin«, sagte die Stimme. Das hysterische, aufgeblasene Gehabe war verschwunden, aber was an seine Stelle getreten war, gefiel Marly noch viel weniger.
»Den hab ich übrig«, sagte Rez und löste mit einem Klicken den verspiegelten Helm von dem roten Anzug. »Kann ich mir leisten bei der Knete, die du abgedrückt hast.«
»Nein, das ist wirklich nicht nötig. Ich …«, protestierte Marly. Sie schüttelte den Kopf, während Rez die Verschlüsse an der Taille des Raumanzugs öffnete.
»In so’n Ding geht man nicht ohne Anzug rein«, erklärte Rez. »Du weiß ja nicht, was für’ne Atmosphäre sie da drin haben. Du weiß nicht mal, ob’s da überhaupt eine gibt! Und dann die ganzen Bakterien und Sporen und so weiter … Was ist denn?« Sie ließ den silbrigen Helm wieder sinken.
»Ich hab Klaustrophobie!«
»Oh …« Rez starrte sie an. »Hab ich schon mal von gehört. Das heißt, du hast Angst davor, irgendwo drin zu sein?« Offenbar war sie wirklich neugierig.
»Irgendwo drin, wo es eng ist, ja.«
»Wie zum Beispiel in der Sweet Jane ?«
»Ja, aber …« Marly sah sich in der kleinen Kabine um, kämpfte gegen die Panik an. »Das halte ich gerade noch aus, aber der Helm, das geht nicht.« Sie erschauerte.
»Ich sag dir was«, meinte Rez. »Wir stecken dich in den Anzug, aber ohne den Helm, und ich zeig dir, wie man ihn
aufsetzt. Abgemacht? Anders kommst du aus meinem Schiff nicht raus.« Ihr Mund war ein strenger, gerader Strich.
»Ja«, sagte Marly, »ja …«
»Also, es läuft folgendermaßen«, sagte Rez. »Wir liegen Schleuse an Schleuse. Die Luke geht auf, du gehst rein, ich mach sie zu. Dann mach ich die andere Luke auf, und du bist in der Atmosphäre von drüben, was immer das sein mag. Willst du nicht doch lieber den Helm aufsetzen?«
»Nein.« Marly schaute den Helm an, den sie in den roten Handschuhen hielt, und sah ihr blasses Ebenbild im verspiegelten Visier.
Rez schnalzte leise mit der Zunge. »Es ist dein Leben. Wenn du zurückwillst, sollen sie übern JAL-Terminal eine Nachricht für die Sweet Jane absetzen.«
Marly stieß sich schwerfällig ab und segelte in die Schleuse, die nicht größer war als ein aufrecht stehender Sarg. Die Brustplatte des roten Anzugs knallte gegen die äußere Luke, und sie hörte, wie sich die Innenluke zischend hinter ihr schloss. Neben ihrem Kopf leuchtete ein Lämpchen auf, das sie an das Licht in einem Kühlschrank erinnerte. »Adieu, Therèse.«
Nichts geschah. Sie war allein mit ihrem Herzklopfen.
Dann glitt die Außenluke der Sweet Jane auf. Ein geringfügiger Druckunterschied bewirkte, dass sie in eine Dunkelheit hinauspurzelte, in der es muffig und auf triste Weise menschlich roch, wie in einem lange unbenutzten Umkleideraum. Die Luft war dick, unsauber und feucht. Während sie dahintrieb und sich dabei langsam überschlug, sah sie, wie die Luke der Sweet Jane hinter ihr zuging. Ein Lichtstrahl stach an ihr vorbei, tanzte ein wenig, schwang dann herum und erfasste sie.
»Licht«, brüllte jemand mit heiserer Stimme. »Licht für unsern Gast! Jones!« Es war die Stimme, die sie durch den Ohrknopf
gehört hatte. Sie klang merkwürdig in dem großen, stählernen Raum, in dieser Leere, durch die sie fiel. Dann knarzte es, und ein Stück entfernt flammte ein Ring aus grellem, blauem Licht auf und zeigte ihr die gegenüberliegende Krümmung einer Wand oder Hülle aus Stahl und verschweißtem Mondgestein. Die Fläche war mit exakt gelegten Kanälen und Mulden überzogen, in denen früher einmal irgendwelche Geräte gesessen hatten. Schuppige Klumpen braunen Quellschaums hafteten noch in einigen der tieferen Einschnitte, während andere sich in pechschwarzer Finsternis verloren. »Leg ihr endlich’ne Leine an, Jones, bevor sie sich noch den Kopf stößt.«
Etwas schlug mit einem feuchten Klatschen gegen die Schulter ihres Raumanzugs. Sie drehte den Kopf und sah einen hellen Kunststoffklumpen an einer dünnen pinkfarbenen Leine, die sich unter ihren Augen straffte und sie herumriss. Das geplagte Heulen eines Motors erfüllte den ausgeweideten Raum von der Größe einer Kathedrale, und Marly wurde ganz langsam mit der Winde eingeholt.
»Hat lange genug
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