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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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gedauert«, sagte die Stimme. »Ich hab mich gefragt, wer der Erste sein würde, und jetzt ist es Virek … Mammon …« Und dann hatten sie sie und drehten sie um. Beinahe hätte sie den Helm verloren; er schwebte davon, aber einer von ihnen schlug ihn zurück, so dass er wieder in ihren Händen landete. Ihre Tasche, in der die Stiefel und die gefaltete Lederjacke steckten, machte einen eigenen Rundflug am Schultergurt und prallte an ihre Schläfe.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie.
    »Ludgate!«, brüllte der alte Mann. »Wigan Ludgate, das weißt du doch ganz genau. Wen sonst sollst du in seinem Auftrag hinters Licht führen?« Sein faltiges, fleckiges Gesicht war glatt rasiert, aber das graue, ungeschnittene Haar schwebte frei umher, Seetang in einem schalen Luftzug.

    »Verzeihen Sie«, sagte sie, »aber ich bin nicht hier, um Sie hinters Licht zu führen. Ich arbeite nicht mehr für Virek. Ich bin hergekommen, weil … also, eigentlich weiß ich gar nicht so recht, warum, aber unterwegs habe ich erfahren, dass der Künstler, der die Kästen macht, in Gefahr schwebt. Virek glaubt nämlich, dass er noch was anderes hat – etwas, das ihn von seinem Krebs befreien kann …« Ihre Worte verklangen angesichts des beinahe greifbaren Wahnsinns, den Wigan Ludgate ausstrahlte. Sie sah, dass er den brüchigen Kunststoffpanzer eines alten Schutzanzugs trug; billige Metallkruzifixe waren wie eine Halskette rings um den angelaufenen Helmring aus Stahl geklebt. Sein Gesicht war sehr nahe. Sie roch seine Zahnfäule.
    »Die Kästen!« Speichelkügelchen lösten sich von seinen Lippen und gehorchten den eleganten Gesetzen der Newton’schen Physik. »Du Hure! Sie sind von Gottes Hand!«
    »Immer mit der Ruhe, Lud«, sagte eine zweite Stimme, »du erschreckst die Lady ja. Keine Angst, Lady, es ist nur so, dass der alte Lud selten Besuch kriegt. Regt ihn ziemlich auf, wie Sie sehen, aber im Grunde ist er ein harmloser Knacker.« Sie drehte den Kopf und schaute in ein gelassenes, sehr junges Gesicht mit zwei großen blauen Augen. »Ich bin Jones«, sagte er. »Ich lebe auch hier.«
    Wigan Ludgate warf den Kopf zurück und stieß ein wüstes Geheul aus, das von den Wänden aus Stahl und Stein widerhallte.
     
    »Meistens ist er recht still, wissen Sie«, sagte Jones, während Marly sich hinter ihm an einem Tau mit Knoten entlangzog, das straff durch einen schier endlosen Korridor gespannt war. »Lauscht seinen Stimmen, führt Selbstgespräche oder redet vielleicht mit den Stimmen, ich weiß nicht, und dann packt ihn irgendwas, und er ist so wie jetzt …« Wenn er verstummte,
konnte sie immer noch leise Echos von Ludgates Schreien hören. »Sie finden es vielleicht grausam von mir, ihn in diesem Zustand allein zu lassen, aber es ist wirklich am besten so. Er wird bald müde. Müde und hungrig. Dann geht er mich suchen. Will seine Leckerlis, wissen Sie.«
    »Sind Sie Australier?«, fragte sie.
    »New Melbourne«, sagte er. »Besser gesagt, ich war’s, bevor ich den Schacht raufgekommen bin.«
    »Und warum sind Sie hier, wenn ich fragen darf? Ich meine, hier in diesem … diesem … Was ist das eigentlich?«
    Der Junge lachte. »Ich sag meistens nur ›der Laden‹. Lud, der hat viele Namen dafür, aber meistens nennt er es ›das Reich‹. Bildet sich ein, dass er Gott gefunden hat, echt. Hat er wohl auch, wenn man so will. Soweit ich mitgekriegt habe, war er mal’n Konsolengauner oder so, bevor er den Schacht hochgegangen ist. Keine Ahnung, wieso er ausgerechnet hierher gekommen ist, aber hier gefällt’s ihm, dem armen Schwein … Ich hab mich hierher verdrückt, verstehen Sie? Hab da irgendwo Ärger gehabt – brauchen wir jetzt nicht weiter zu vertiefen – und musste zusehen, dass ich Land gewinne. Ich komm also hier an – das ist auch wieder’ne lange Geschichte – und finde Ludgate, und der Blödmann ist kurz vorm Verhungern. Er hatte paar kleine Geschäfte laufen, hat Sachen verhökert, die er aufgelesen hat, und auch die Kisten, hinter denen Sie her sind, aber dazu war er mittlerweile schon zu sehr hinüber. Seine Abnehmer sind so zirka dreimal pro Jahr aufgekreuzt, aber er hat sie weggeschickt. Na ja, mir kam’s als Versteck gerade recht, also hab ich ihm ein bisschen unter die Arme gegriffen. Das war’s auch schon, denk ich …«
    »Können Sie mich zu dem Künstler bringen? Ist er hier? Es ist wirklich sehr dringend.«
    »Ich bring Sie hin, keine Sorge. Aber der Laden hier ist eigentlich nicht für Menschen gebaut,

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