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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Magnetpolster dahin. Turner lehnte sich zurück, legte den Arm um Angie und tat so, als würde er die Augen schließen. In Wirklichkeit betrachtete er ihr Spiegelbild im Fenster gegenüber. Ein langer Kerl, hager und unrasiert, der völlig fertig in den Polstern hing; ein Mädchen mit tief in den Höhlen liegenden Augen, das sich an ihn schmiegte. Seit sie das Hover in der Gasse zurückgelassen hatten, hatte sie kein Wort mehr gesagt.
    Zum zweiten Mal in einer Stunde überlegte er, ob er seinen Agenten anrufen sollte. Wenn du gezwungen bist, jemandem zu vertrauen, lautete die Devise, dann vertrau deinem Agenten. Aber Conroy hatte gesagt, er habe Oakey und die anderen über Turners Agenten engagiert; diese Verbindung machte Turner misstrauisch. Wo mochte Conroy an diesem Abend sein? Turner war sich ziemlich sicher, dass Conroy ihnen Oakey mit dem Laser auf den Hals gehetzt hatte. Ob Hosaka die Sache mit dem Rail-Geschütz in Arizona arrangiert hatte, um die Spuren eines vermasselten Abwerbungsversuchs zu verwischen? Aber wenn ja, warum hatten sie dann Webber beauftragt, die Ärzte, die neurochirurgische Ambulanz und das Maas-Neotek-Deck zu vernichten? Schon wieder Maas … Hatte Maas Mitchell umgebracht? Gab es denn einen Grund zu glauben, dass Mitchell wirklich tot war? Ja, dachte er, während das Mädchen neben ihm sich im unruhigen Schlaf bewegte, den gab es: Angie. Mitchell hatte befürchtet, dass sie sie umbringen würden; er hatte die Abwerbung in die Wege geleitet, um sie herauszuschaffen und zu Hosaka zu bringen, aber er
hatte nicht vorgehabt, selbst zu fliehen. Zumindest behauptete Angie das.
    Turner schloss die Augen, sperrte das Spiegelbild aus. Tief unten im Schlick von Mitchells aufgezeichneten Erinnerungen regte sich etwas. Scham. Turner bekam es nicht richtig zu fassen … Er schlug abrupt die Augen auf. Was hatte sie bei Rudy gesagt? Dass ihr Vater ihr das Ding in den Kopf gepflanzt hatte, weil sie nicht klug genug war? Behutsam, um sie nicht zu wecken, zog er den Arm hinter ihrem Nacken weg, griff mit zwei Fingern in seine Hüfttasche und holte Conroys kleinen schwarzen Nylonbrustbeutel mit der Kordel hervor. Er öffnete den Klettverschluss und schüttelte das dicke, asymmetrische, graue Biosoft in die Hand. Maschinenträume. Achterbahnfahrt. Zu schnell, zu fremdartig – ungreifbar. Aber wenn man etwas Bestimmtes, etwas Spezielles suchte, müsste man es eigentlich zu fassen kriegen können …
    Er schob den Daumennagel unter den Staubdeckel der Buchse, fummelte ihn ab und legte ihn neben sich auf den Kunststoffsitz. Der Wagen war fast leer, und keiner der anderen Fahrgäste schien ihn zu beachten. Er holte tief Luft, biss die Zähne zusammen und setzte das Biosoft ein.
    Zwanzig Sekunden später hatte er, was er gesucht hatte. Diesmal war es nicht so fremdartig gewesen – offenbar, weil er nur auf diese eine, spezielle Angabe aus gewesen war, diesen Fakt, genau die Information, die man im Dossier eines führenden Wissenschaftlers erwarten konnte: den IQ seiner Tochter im Spiegel der jährlichen Intelligenztestreihen.
    Angela Mitchell lag weit überm Durchschnitt. Von Anfang an.
    Er zog das Biosoft aus der Buchse und rollte es geistesabwesend zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Scham. Mitchell, die Scham, die Oberseminare … Noten, dachte er. Ich will die Noten von dem Scheißkerl. Seine Studienunterlagen.

    Er steckte das Dossier wieder ein.
    Nichts. Er hatte die Stelle, aber da war nichts.
    Nein. Nochmal.
    Nochmal …
    »Verdammt«, sagte er, als er es sah.
    Ein Teenager mit kahlrasiertem Kopf warf ihm von der anderen Seite des Mittelgangs einen flüchtigen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf den wasserfallartigen Monolog seines Freundes. »Um Mitternacht treten sie oben aufm Berg wieder gegen’nander an. Wir tanzen auch an, aber bloß, um’n bisschen rumzuhängen, wir steigen nicht ein, wir halten uns raus. Solln die sich doch gegenseitig kaputtmachen, wir lachen mal richtig ab und schaun uns an, wen’s diesmal erwischt – letzte Woche hamse nämlich Susans Arm zertrümmert, gehste vielleicht für so was da hin? Und es war echt komisch, weil Cal sie nämlich ins Krankenhaus bringen wollte, aber der war so zu, dass er mit seiner Scheiß-Yamaha durch die Leitplanke gebrettert ist …«
    Turner steckte das Biosoft wieder in die Buchse.
    Diesmal sagte er nichts, als es vorbei war. Er legte erneut den Arm um Angie und lächelte, sah das Lächeln im Fenster. Es war ein

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