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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Raubtierlächeln, und es zeigte, dass er wieder unter Strom stand.
    Mitchells akademische Leistungen waren gut, sehr gut. Ausgezeichnet sogar. Aber es fehlte die Kurve, jene Kurve, die Turner im Dossier von Forschern zu suchen gelernt hatte, dieses charakteristische Zeichen für Brillanz. Er konnte die Kurve sehen, wie ein erfahrener Dreher anhand des Funkenregens an der Schleifscheibe die Art des Metalls bestimmen konnte. Und bei Mitchell hatte es keine solche Kurve gegeben.
    Die Scham. Das Studentenheim. Mitchell hatte genau gewusst, dass er’s nicht schaffen würde. Und dann hatte er es plötzlich doch irgendwie geschafft. Wie? Darüber würde das
Dossier keine Auskunft geben. Es war Mitchell auf irgendeine Weise gelungen, die Informationen, die er dem Sicherheitsapparat von Maas gegeben hatte, zu filtern. Andernfalls wären sie ihm auf die Schliche gekommen. Irgendjemand, irgendetwas hatte Mitchell in seinem Tief nach dem ersten Examen aufgespürt und ihn mit Wissen gefüttert. Mit Tips und Strategien. Und Mitchell hatte es ganz nach oben geschafft, in einer steilen, strahlenden, perfekten Kurve, die ihn bis an die Spitze brachte.
    Wer? Was?
    Er betrachtete Angies schlafendes Gesicht im flackernden U-Bahn-Licht.
    Faust.
    Mitchell hatte sich auf einen Handel eingelassen. Obwohl Turner die Details der Übereinkunft oder Mitchells Preis vielleicht nie in Erfahrung bringen würde, so wusste er doch, dass er die andere Seite kannte. Das, was von Mitchell als Gegenleistung verlangt worden war.
    Legba, Samedi, Speichelfäden an den verzerrten Lippen des Mädchens.
    Und der Zug fuhr mit einem schwarzen Schwall mitternächtlicher Luft in die alte Union Station ein.
     
    »Taxi, Sir?« Die Augen des Mannes zuckten hinter einer Brille hin und her, deren polychrome Tönung wie ein Ölfilm schillerte. Auf den Handrücken hatte er flache, silbrige Wundstellen. Turner trat dicht an ihn heran, packte ihn am Oberarm und drängte ihn, ohne dabei auch nur langsamer zu werden, gegen eine zerkratzte weiße Fliesenwand zwischen grauen Schließfachreihen.
    »Bar«, sagte Turner. »Ich zahle mit Neuen Yen. Ich will ein Taxi, aber keinen Ärger mit dem Fahrer. Kapiert? Mich legt man nicht so leicht rein.« Er packte fester zu. »Wenn du Scheiß
mit mir baust, komm ich wieder und mach dich kalt oder sorg dafür, dass du wünschst, ich hätt’s getan.«
    »Klar, Sir. Hab verstanden. Geht in Ordnung, Sir. Jawohl, Sir. Wo wollen Sie hin, Sir?« Das ausgezehrte Gesicht des Mannes war schmerzverzerrt.
    »Mietling«, kam es von Angie, ein heiseres Flüstern. Und dann eine Adresse.
    Turner sah, wie die Augen des Schleppers hinter der schillernden Brille nervös hin und her huschten. »Ist das Madison?«, krächzte er. »Jawohl, Sir. Ich besorg Ihnen ein gutes Taxi, ein wirklich gutes Taxi.«
     
    Turner beugte sich vor und drückte auf die Sprechtaste neben dem stählernen Lautsprechergitter. »Was ist das«, fragte er den Taxifahrer, »die Adresse, die wir Ihnen angegeben haben?«
    Atmosphärisches Rauschen. »Hypermarkt. Nicht viel offen da um diese Zeit. Suchen Sie was Bestimmtes?«
    »Nein«, sagte Turner. Der Hypermarkt war ihm unbekannt. Er versuchte, sich an dieses Stück der Madison zu erinnern. Hauptsächlich Wohngebiet. Unzählige Wohnräume in den leeren Hülsen von Bürohäusern, die noch aus einer Zeit stammten, als der Geschäftsbetrieb die tatsächliche Anwesenheit der Büroangestellten an einem zentralen Ort erfordert hatte. Manche dieser Gebäude waren so hoch, dass sie eine Kuppel durchstießen.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte Angie, die Hand auf seinem Arm.
    »Alles okay«, sagte er. »Keine Sorge.«
     
    »O Gott«, entfuhr es ihr, als sie, an seine Schulter gelehnt, zu der pinkfarbenen HYPERMARKT-Neonschrift quer über der alten Granitfassade des Gebäudes hinaufsah. »Im Berg hab ich immer von New York geträumt. Ich hatte ein Grafikprogramm,
mit dem ich auf allen Straßen rumlaufen und in Museen und so gehen konnte. Einmal in New York sein, das war mein allergrößter Wunsch.«
    »Tja, nun ist er in Erfüllung gegangen. Du bist hier.«
    Sie brach in Tränen aus, fiel ihm um den Hals und drückte zitternd das Gesicht an seine bloße Brust. »Ich hab Angst, ich hab solche Angst …«
    »Wird schon alles gut«, sagte er, strich ihr übers Haar und schaute zum Eingang hinüber. Nichts sprach dafür, dass auch nur für einen von ihnen je wieder etwas gut würde. Offenbar hatte sie keine Ahnung, dass die Worte, die sie

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