Neuromancer-Trilogie
hierhergebracht hatten, aus ihrem Mund gekommen waren. Aber sie hatte diese Worte ja auch nicht ausgesprochen, dachte er. Zu beiden Seiten des Hypermarkt-Eingangs kauerten Obdachlose, flach hingestreckte Lumpenhaufen, die das Grau des Bürgersteigs angenommen hatten. Turner hatte den Eindruck, als würden sie langsam vom dunklen Beton abgestoßen, um mobile Fortsätze der Stadt zu werden. »Jammer’s«, sagte die Stimme, von seiner Brust gedämpft, und er verspürte kalten Abscheu. »Ein Club. Suche Danbalas Pferd.« Dann weinte sie wieder. Er nahm sie bei der Hand und führte sie zwischen den schlafenden Obdachlosen hindurch, unter die angelaufenen, vergoldeten Verzierungen und durch die Glastüren hinein. Am Ende einer Flucht von Zelten und versammelten Ständen sah er eine Espressomaschine; ein Mädchen mit einem Kamm schwarzer Haare wischte die Theke.
»Kaffee«, sagte er, »und was zu essen. Na komm. Du musst was essen.« Er lächelte dem Mädchen zu, während Angie auf einen Hocker kletterte. »Wie sieht’s mit Bargeld aus?«, fragte er. »Nimmst du Bargeld?«
Das Mädchen schaute ihn an und zuckte mit den Achseln. Er zog einen Zwanziger aus Rudys Reißverschlusstasche und zeigte ihn ihr.
»Was soll’s denn sein?«
»Kaffee für uns beide. Und was zu essen.«
»Hast du’s nicht kleiner?«
Er schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid. Ich kann nicht rausgeben.«
»Brauchst du auch nicht.«
»Bist du verrückt?«
»Nein, aber ich will’nen Kaffee.«
»Das ist aber’n sattes Trinkgeld, Mann. So viel krieg ich in einer Woche nicht zusammen.«
»Gehört dir.«
Ein Ausdruck des Unmuts ging über ihr Gesicht. »Ihr gehört zu den Idioten da oben. Behalt die Kohle. Ich mach gerade zu.«
»Wir gehören zu niemand«, sagte er und lehnte sich über die Theke, so dass der Parka aufklappte und den Blick auf die Smith & Wesson freigab. »Wir suchen einen Club. Der Laden heißt Jammer’s.«
Das Mädchen warf einen kurzen Blick auf Angie und sah dann wieder Turner an. »Ist sie krank? Oder auf Dust? Was ist los?«
»Hier ist das Geld. Gib uns unsern Kaffee! Wenn du dir das Trinkgeld verdienen willst, sag uns, wo wir das Jammer’s finden. Das ist es mir wert. Verstanden?«
Sie ließ die abgegriffene Banknote verschwinden und ging zur Espressomaschine. »Ich glaub, ich versteh überhaupt nichts mehr.« Klappernd räumte sie Tassen und Gläser mit Milchschlieren aus dem Weg. »Was ist’n los im Jammer’s? Bist du’n Freund von Jammer? Kennst du Jackie?«
»Klar«, sagte Turner.
»Sie ist heut’ früh mit so’nem kleinen Vorstadt-Wilson reingekommen. Ich glaub, sie sind raufgegangen …«
»Wohin?«
»Zum Jammer’s. Dann fing’s an, komisch zu werden.«
»So?«
»Jede Menge Ekelpakete aus Barrytown sind hier angerückt, lauter Schmierlappen und Weißschuhe, als ob ihnen der Laden gehören würde. Und jetzt isses auch so. Die oberen zwei Etagen gehören denen. Haben einfach die Stände aufgekauft. In den unteren Etagen haben viele ihre Sachen gepackt und sich aus dem Staub gemacht. Echt merkwürdig.«
»Wie viele sind denn gekommen?«
Dampf zischte aus der Maschine. »Hundert vielleicht. Hab den ganzen Tag schon’ne Scheißangst, aber ich krieg meinen Boss nicht zu fassen. In’ner halben Stunde mach ich sowieso dicht. Das Mädchen von der Tagschicht ist nicht aufgetaucht, oder vielleicht hat sie kurz die Nase reingesteckt, den Braten gerochen und ist wieder abgehauen.« Sie nahm das dampfende Tässchen und stellte es vor Angie hin. »Alles okay mit dir, Schätzchen?« Angie nickte.
»Hast du’ne Ahnung, was die im Schilde führen?«, fragte er.
Das Mädchen war zur Maschine zurückgegangen. Wieder zischte es. »Ich glaube, die warten auf jemand«, sagte sie leise und brachte Turner seinen Espresso. »Entweder auf jemand, der aus dem Jammer’s rauszukommen versucht, oder auf jemand, der rein will.«
Turner betrachtete die braune Schaumkrone auf seinem Kaffee. »Und niemand hier hat die Polizei gerufen?«
»Die Polizei? Mann, das hier ist der Hypermarkt. Hier ruft man nicht die Polizei …«
Angies Tasse zerschellte auf der Marmortheke.
»Mach’s kurz, Mietling«, flüsterte die Stimme. »Du kennst den Weg. Geh rein!«
Die Kellnerin sperrte den Mund auf. »Meine Güte«, sagte sie, »die ist ja wohl voll auf Dust.« Sie warf Turner einen kalten Blick zu. »Hast du ihr das Zeug gegeben?«
»Nein«, sagte Turner. »Sie ist krank, aber das wird schon wieder.« Er trank den bitteren
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