Neuromancer-Trilogie
Liste, von der du gesprochen hast?«
»Spielzeug. Größtenteils für dich. Und ein waschechter Psychopath namens Peter Riviera. Echt unangenehmer Zeitgenosse.«
»Wo ist er?«
»Keine Ahnung. Der Typ ist total abgefuckt, ungelogen. Hab sein Profil gesehn.« Sie schnitt eine Grimasse. »Abartig.« Sie stand auf und streckte sich katzenhaft. »Also, was ist, haben wir’ne Achse stehn, oder was? Ziehen wir das zusammen durch? Als Partner?«
Case sah sie an. »Ich hab wohl kaum’ne andere Wahl, hm?«
Sie lachte. »Du hast es geschnallt, Cowboy.«
»Die Matrix hat ihre Wurzeln in primitiven Videospielen«, sagte der Sprecher, »in frühen Computergrafikprogrammen und militärischen Experimenten mit Schädelelektroden.« Auf dem Sony verblasste ein zweidimensionaler Weltraumkrieg hinter einem Wald mathematisch generierter Farne, die die räumlichen Möglichkeiten logarithmischer Spiralen demonstrierten. Eisig blaues militärisches Filmmaterial trat in den Vordergrund, Versuchstiere, die an Testeinrichtungen angeschlossen waren, Helme, die Befehle in die Feuerleitsysteme von Panzern und Kampfflugzeugen einspeisten. »Cyberspace. Eine Konsens-Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden zugriffsberechtigter Nutzer in allen Ländern, von Kindern, denen man mathematische Begriffe erklärt … Eine grafische Wiedergabe von Daten aus den Banken sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen
im Nicht-Raum des Verstands, Datencluster und -konstellationen. Wie die zurückweichenden Lichter einer Stadt …«
»Was ist das?«, fragte Molly, als er den Programmschalter betätigte.
»’ne Kindersendung.« Eine wirre Bilderflut, als die Programme durchliefen. »Aus«, sagte er zum Hosaka.
»Willst du’s jetzt mal probieren, Case?«
Mittwoch. Vor einer Woche war er im Cheap Hotel neben Molly aufgewacht.
»Soll ich rausgehen, Case? Allein isses vielleicht einfacher für dich …«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Bleib ruhig, spielt keine Rolle.« Er zog sich das schwarze Frotteestirnband über den Kopf und achtete auf den richtigen Sitz der flachen Sendai-Elektroden. Er starrte auf das Deck in seinem Schoß, registrierte es aber kaum; stattdessen sah er das Schaufenster auf der Ninsei, die verchromten Shuriken, die glitzernd das Neonlicht reflektierten. Er blickte auf; an der Wand unmittelbar über dem Sony hatte er ihr Geschenk mit einer großen gelbköpfigen Reißzwecke befestigt, die durch das Loch in der Mitte ging.
Er schloss die Augen.
Fand den geriffelten EIN-Schalter.
Und in der blutgeschwängerten Dunkelheit hinter seinen Augen fluteten silberne Phosphene von den Grenzen des Raums heran, hypnagoge Bilder, die wie ein wahllos zusammengeschnittener Film vorüberzuckten. Symbole, Ziffern, Gesichter, ein verschwommenes, fragmentarisches Mandala visueller Information.
Bitte, betete er, jetzt …
Eine graue Scheibe von der Farbe des Himmels über Chiba.
Jetzt …
Die Scheibe begann zu rotieren, immer schneller, wurde zu einer hellgrauen Kugel. Dehnte sich aus …
Und strömte, erblühte für ihn. Wie ein Origamitrick in flüssigem Neon entfaltete sich seine distanzlose Heimat, sein Land, ein transparentes Schachbrett in 3-D, das sich in die Unendlichkeit dehnte. Das innere Auge öffnete sich, und die abgestufte, knallrote Pyramide der Eastern Seaboard Fission Authority ragte leuchtend hinter den grünen Würfeln der Mitsubishi Bank of America auf. Hoch oben und sehr weit weg sah er die Spiralarme militärischer Systeme, auf immer unerreichbar für ihn.
Und irgendwo er, lachend, in einem weiß getünchten Loft, die fernen Finger zärtlich auf dem Deck, das Gesicht von Tränen der Erleichterung überströmt.
Molly war weg, als er die Dermatroden abnahm, und im Loft war es dunkel. Er schaute auf die Uhr. Fünf Stunden war er im Cyberspace gewesen. Er trug den Ono-Sendai zu einem der neuen Arbeitstische, ließ sich auf die Matratze sinken und zog sich Mollys schwarzen Seidenschlafsack über den Kopf.
Das Sicherheitspaket, das an die feuerfeste Stahltür geklebt war, piepste zweimal. »Zutritt erbeten«, sagte es. »Person ist meinem Programm zufolge okay.«
»Dann mach auf!« Case zog sich die Seide vom Gesicht und setzte sich auf, als die Tür aufging. Er rechnete mit Molly oder Armitage.
»Herrgott«, sagte eine heisere Stimme. »Ich weiß, das Luder kann im Dunkeln sehen …« Eine untersetzte Gestalt kam herein und schloss die Tür. »Mach das Licht an,
Weitere Kostenlose Bücher