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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Stadtbibliothek von New York gehörte, wobei er ganz automatisch potenzielle Fenster zählte. Dann wieder zurück in ihr Sensorium, in die geschmeidigen Bewegungen der Muskeln, die scharfen, klaren Sinne.
    Er ertappte sich dabei, wie er sich Gedanken über den Menschen machte, mit dem er diese Eindrücke teilte. Was wusste er über sie? Dass sie auch ein Profi war und dass sie sich wie er über die Arbeit definierte, mit der sie sich über Wasser hielt. Das hatte sie selbst gesagt. Er wusste, wie sie sich an ihm bewegt hatte, als sie vorhin aufgewacht war, wie sie gemeinsam
aufgestöhnt hatten, als er in sie eindrang, und dass sie ihren Kaffee danach am liebsten schwarz trank …
    Mollys Ziel war einer der dubiosen Software-Verleihe auf der Memory Lane. In dem Gebäude herrschte Grabesstille. Stände säumten die Eingangshalle. Die Kundschaft war jung, kaum jemand war über zwanzig. Sie schienen alle Karbonbuchsen hinter dem linken Ohr implantiert zu haben, auf die Molly jedoch keinen Blick verschwendete. An den Verkaufstischen vor den Ständen waren Aberhunderte Mikrosoft-Plättchen ausgestellt, eckige Splitter aus buntem Silizium auf weißen Kartonstreifchen in länglichen, transparenten Folienpackungen. Molly ging zum siebten Stand an der Südwand. Hinter dem Verkaufstisch starrte ein Junge mit kahlrasiertem Schädel Löcher in die Luft. Ein Dutzend Mikrosoft-Stifte ragten aus der Buchse hinter seinem Ohr.
    »Hallo Larry, jemand zu Hause bei dir?« Sie baute sich vor ihm auf. Er stellte die Augen scharf, setzte sich auf und pulte mit einem schmutzigen Daumennagel einen hellroten Span aus der Buchse.
    »He, Larry.«
    »Molly.« Er nickte.
    »Ich hab’nen Job für’n paar Freunde von dir, Larry.«
    Larry zog ein flaches Plastiketui aus der Brusttasche seines roten Sporthemds, klappte es auf und steckte das Mikrosoft zu einem Dutzend anderer. Seine Hand hielt inne; er wählte einen schwarzglänzenden Chip aus, der etwas länger als die übrigen war, und steckte ihn geübt in seinen Kopf. Seine Augen wurden schmal.
    »Molly hat’nen Reiter«, sagte er, »und das gefällt Larry nicht.«
    »He«, sagte sie, »wusste gar nicht, dass du so … sensibel bist. Ich staune. Kostet’ne Stange, so sensibel zu werden.«
    »Kenn ich dich, Lady?« Der leere Blick war wieder da. »Suchste Softs oder was?«

    »Ich such die Moderns.«
    »Du hast’nen Reiter, Molly. Sagt mir das Ding hier.« Er tippte an den schwarzen Span. »Jemand benutzt deine Augen.«
    »Mein Partner.«
    »Dein Partner soll Leine ziehen.«
    »Ich hab was für die Panther Moderns, Larry.«
    »Wovon redest du, Lady?«
    »Case, steig aus!«, sagte sie, und Case drückte den Schalter und war augenblicklich wieder in der Matrix. Nachbilder des Software-Verleihs spukten noch einige Sekunden durch die summende Stille des Cyberspace.
    »Panther Moderns«, sagte er zum Hosaka und zog die Troden ab. »5-Minuten-Übersicht.«
    »Fertig«, sagte der Computer.
    Case kannte den Namen nicht. Es musste sich um was Neues handeln, was während seiner Zeit in Chiba aufgekommen war. Moden überrollten die Jugend des Sprawl mit Lichtgeschwindigkeit; ganze Subkulturen konnten über Nacht auftauchen und für ein paar Wochen der Hit sein, um dann unvermittelt wieder von der Bildfläche zu verschwinden. »Los!«, sagte er. Der Hosaka hatte sein stattliches Aufgebot an Bibliotheken, Zeitungsarchiven und Nachrichtenagenturen gesichtet.
    Der Überblick begann mit einem langen, farbigen Standbild, das Case zunächst für eine Art Collage hielt: das Gesicht eines Jungen, aus einem Foto geschnitten und auf die Abbildung einer vollgemalten Mauer geklebt. Dunkle Augen mit offenbar operativ erzeugten Mongolenfalten, flammende Akne auf den blassen, schmalen Wangen. Der Hosaka ließ das Standbild laufen; der Junge bewegte sich mit der flüssigen, unheildrohenden Anmut eines Pantomimen, der ein Dschungelraubtier darstellt. Sein Körper war fast unsichtbar; ein abstraktes Muster, das dem vollgemalten Mauerwerk entsprach,
glitt über seinen engsitzenden, einteiligen Dress. Mimetisches Polykarbonat.
    Schnitt zu Dr. Virginia Rambali, Soziologin, New York University. Name, Fakultät und Bildungseinrichtung glitten in pinkfarbener Computerschrift über den Bildschirm.
    »Angesichts ihrer Neigung zu wahllos-surrealen Gewalttaten«, sagte jemand, »werden es unsere Zuschauer vielleicht nur schwer verstehen, weshalb Sie weiterhin darauf beharren, dass es sich bei diesem Phänomen nicht um eine Form von

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