Neuromancer-Trilogie
ja?«
Case rappelte sich hoch und tastete nach dem altmodischen Lichtschalter.
»Ich bin der Finne«, sagte der Finne und sah Case warnend an.
»Case.«
»Freut mich, freut mich. Wie’s aussieht, mach ich ein bisschen Hardware für deinen Boss.« Der Finne angelte ein Päckchen Partagas aus der Tasche und zündete sich eine an. Der Geruch von kubanischem Tabak erfüllte den Raum. Der Finne ging zum Arbeitstisch und warf einen Blick auf den Ono-Sendai. »Sieht mir wie’n Serienmodell aus. Das haben wir gleich. Hier ist das Problem, mein Freund.« Er förderte einen speckigen braunen Umschlag aus seiner Jacke zutage, schnippte Asche auf den Boden und entnahm dem Kuvert ein unscheinbares schwarzes Rechteck. »Verfluchte Fabrik-Prototypen«, sagte er und warf das Ding auf den Tisch. »Gießen sie in Polykarbonat ein, kommste mit dem Laser nicht rein, ohne die Elektronik zu braten. Bei Röntgen, Ultrascan und weiß Gott was noch geht eine Ladung hoch. Aber wir kommen rein, auch wenn den Gottlosen keine Ruhe vergönnt ist, stimmt’s?« Er faltete das Kuvert mit großer Sorgfalt und verstaute es in einer Innentasche seiner Jacke.
»Was ist das?«
»Im Prinzip eine Flipflop-Schaltung. Mit deinem Sendai verdrahtet, ermöglicht sie dir Zugriff auf Simstim, live oder aufgezeichnet, ohne dass du aus der Matrix auskoppeln musst.«
»Wozu?«
»Hab keinen Schimmer. Weiß nur, dass ich Molly mit’nem Sender ausstatte. Ist also vermutlich ihr Sensorium, auf das du Zugriff haben sollst.« Der Finne kratzte sich am Kinn. »Jetzt wirste also bald erfahren, wie eng ihre Hose wirklich sitzt, was?«
4
Case saß mit den Dermatroden an der Stirn im Loft und sah die Staubkörnchen in dem gedämpften Sonnenlicht tanzen, das durchs Dachlukengitter einfiel. In einer Ecke des Monitorbildschirms lief ein Countdown ab.
Cowboys befassen sich nicht mit Simstim, dachte er, weil es im Grunde ein Spielzeug fürs Fleisch ist. Er wusste, dass die angelegten Troden und der kleine Plastikstirnreif, der an einem Simstim-Deck hing, im Prinzip ein und dasselbe waren und die Cyberspace-Matrix eigentlich eine starke Vereinfachung des menschlichen Sensoriums war, zumindest was die Darstellung betraf, aber Simstim schien ihm eine überflüssige Vervielfachung von Fleisch-Input zu sein. Das kommerzielle Material war natürlich editiert, so dass man nichts davon mitkriegte, falls Tally Isham mittendrin Kopfschmerzen bekommen hatte.
Der Monitor ließ einen zwei Sekunden langen Piepton hören.
Der neue Schalter war mit seinem Sendai durch ein dünnes Glasfaserkabel verbunden.
Und eins und zwei und …
Der Cyberspace baute sich aus allen vier Himmelsrichtungen zugleich auf. Glatt, dachte er, aber nicht glatt genug. Braucht noch’n bisschen Schliff …
Dann betätigte er den neuen Schalter.
Abrupter Wechsel in anderes Fleisch. Keine Matrix mehr, stattdessen eine Woge von Geräuschen und Farben … Sie ging durch eine belebte Straße, vorbei an Ständen, die Software verramschten. Filzstiftzahlen auf Preisschildern aus Plastik. Musikfetzen aus unzähligen Boxen. Gerüche: Urin, freie Monomere, Parfüm, Pasteten mit gebratenem Krill. Einige bange Sekunden lang kämpfte er hilflos um die Kontrolle über ihren
Körper. Dann zwang er sich zur Passivität und wurde zum Passagier hinter ihren Augen.
Die Brille hielt offenbar kein Sonnenlicht zurück. Er fragte sich, ob die eingebauten Bildverstärker automatisch für Ausgleich sorgten. Blaue Ziffern links unten am Rand des Gesichtsfelds gaben blinkend die Zeit an. Angeberei, dachte er.
Ihre Körpersprache war verwirrend, ihr Stil fremdartig. Ständig schien sie um ein Haar mit irgendwem zusammenzustoßen, aber die Leute schmolzen vor ihr weg, traten zur Seite, machten ihr Platz.
»Wie geht’s, Case?« Er hörte die Silben und spürte, wie sie sie formte. Sie schob die Hand in ihre Jacke und ließ die Fingerspitze um die Brustwarze unter dem warmen Seidenstoff gleiten. Diese Empfindung verschlug ihm den Atem. Sie lachte. Doch die Verbindung war einseitig. Er hatte keine Möglichkeit, ihr zu antworten.
Zwei Blöcke weiter fädelte sie sich durch die Randzonen der Memory Lane. Case versuchte immer wieder, ihre Augen auf markante Punkte zu richten, die er zur Orientierung benutzt hätte. Seine erzwungene Passivität störte ihn allmählich.
Der Wechsel in den Cyberspace vollzog sich augenblicklich, als er den Schalter drückte. Er arbeitete sich durch eine Mauer aus primitivem Eis, die der
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