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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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herunter. Sie setzte sich auf und trank einen Schluck Bier, das sich merkwürdig mit dem aufgezeichneten Pseudogeschmack von Tallys Wein vermischte.
    Der Drucker unten ließ ein leises Signal ertönen, als er sein Werk vollendet hatte. Sie zwang sich, die Treppe langsam hinunterzugehen, aber das Bild, das der Drucker in der Küche ausgespuckt hatte, war eine Enttäuschung.
    »Kannst du das schärfer machen?«, fragte sie das Haus. »Ich will das Etikett auf der Weinflasche lesen können.«
    »Ich justiere das Bild«, sagte das Haus. »Drehe Zielobjekt um acht Grad.«
    Der Printer surrte leise, während der neue Ausdruck herauskam. Angie hatte ihren Schatz schon entdeckt, bevor der Drucker sein Signal geben konnte. Das Logo aus ihrem Traum, in brauner Tinte: T-A.
    Sie hatten eigene Weinberge gehabt, dachte sie.
    Tessier-Ashpool SA, in hoheitsvollen, feingliedrigen Lettern.
    »Volltreffer«, flüsterte sie.

8
    Texas Radio
    Mona konnte durch ein paar Risse im schwarzen Plastik, das sie überm Fenster kleben hatten, die Sonne sehen. Sie hasste die Bude dermaßen, dass sie es dort nicht aushielt, wenn sie wach oder nüchtern war, und im Moment war sie beides.
    Sie stieg leise aus dem Bett, zuckte zusammen, als ihre nackte Ferse den Boden berührte, und tastete nach ihren Plastiksandalen. Die Bude war dreckig ; wahrscheinlich kriegte man schon Tetanus, wenn man sich an die Wand lehnte. Schon
beim Gedanken daran begann ihre Haut zu kribbeln. Eddy schien so was nicht zu stören; er war so tief in seinen Plänen versunken, dass er seine Umgebung kaum wahrnahm. Und irgendwie schaffte er es immer, sauber zu bleiben, wie eine Katze. Er war reinlich wie eine Katze, hatte nie Dreckränder unter den polierten Fingernägeln. Sie nahm an, dass er das meiste, was sie verdiente, in seine Garderobe investierte, obwohl es ihr nie eingefallen wäre, das in Frage zu stellen. Sie war »sixteen and SINless«, Mona; so hieß nämlich ein Song, wie ein älterer Freier ihr mal gesagt hatte. Sechzehn und frei von Sünde. Aber eigentlich bedeutete es, dass sie bei ihrer Geburt keine Single Identification Number bekommen hatte, keine Personenkennziffer, so dass sie weitgehend außerhalb aller behördlichen Systeme aufgewachsen war. Sie wusste, dass es angeblich möglich war, eine SIN zu kriegen, wenn man keine hatte, aber dazu musste man logischerweise auf irgendein Amt gehen und mit einem Schlips reden, und das war alles andere als das, was Mona unter einem angenehmen Zeitvertreib oder auch nur normalem Verhalten verstand.
    Anziehen in der Bude war für sie eine Routine, die sie im Dunkeln beherrschte. Zuerst schlüpfte man in die Sandalen, die man kurz gegeneinandergeschlagen hatte, um eventuelles Krabbelgetier abzuschütteln, dann ging man zum Fenster hinüber, wo, wie man wusste, eine Rolle altes Faxpapier auf einer Styroporkiste lag. Man riss ungefähr einen Meter Fax ab, runde anderthalb Tagesausgaben der Asahi Shimbun , faltete und falzte es und legte es auf den Boden. Dann konnte man sich draufstellen, den Plastiksack neben der Kiste nehmen, den Draht aufbiegen, mit dem er verschlossen war, und sich die gewünschten Kleidungsstücke raussuchen. Wenn man aus den Sandalen stieg, um die Hose anzuziehen, wusste man, dass man auf frisches Faxpapier trat. Mona glaubte inbrünstig
daran, dass nichts über das Fax laufen würde, bis sie in die Jeans und danach wieder in die Sandalen gestiegen war.
    Zuletzt noch eine Bluse oder dergleichen, anschließend wurde der Sack wieder sorgfältig verschlossen, und dann hieß es: nichts wie weg. Make-up, wenn nötig, draußen im Korridor. Neben dem kaputten Aufzug war noch ein heiler Spiegel, über dem eine Fuji-Biofluoreszenzleiste angeklebt war.
    Beim Aufzug stank es an diesem Morgen so durchdringend nach Pisse, dass sie das Schminken lieber ausfallen ließ.
    Man sah nie einen Menschen in dem Gebäude, aber hin und wieder hörte man sie: Musik hinter einer verschlossenen Tür oder Schritte, die eben hinter einer Ecke am anderen Ende des Korridors verhallten. Nun, das war verständlich; Mona legte auch keinen Wert darauf, ihre Nachbarn kennenzulernen.
    Sie ging drei Treppen hinunter und trat ins gähnende Dunkel der Tiefgarage. Sie ließ die Taschenlampe in ihrer Hand sechsmal kurz aufleuchten, um abgestandenen Pfützen und herabbaumelnden Glasfaserkabeln auszuweichen, stieg dann die Betonstufen hinauf und trat auf die Gasse hinaus. In der Gasse konnte man manchmal den Strand riechen, wenn der Wind richtig

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