Neuromancer-Trilogie
Porphyre hat doch gesagt, das sind schlimme Drogen!«
Sie blickte zu ihm auf. Er war sehr groß und ungemein stark, das wusste sie. Wie ein gedopter Windhund, hatte mal jemand gesagt. Sein enthaarter Schädel wies eine in der Natur unbekannte Symmetrie auf.
»Alles okay?«, fragte er in seinem anderen Tonfall. Die manische Beschwingtheit war verschwunden, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
»Mir geht’s gut.«
»Hat’s wehgetan?«
»Ja. Kann man wohl sagen.«
»Weißt du«, sagte er und berührte sie mit einer Fingerspitze sanft am Kinn, »keiner hat kapiert, was du an dem Dreckszeug gefunden hast. High bist du offenbar nicht davon geworden.«
»War auch nicht der Sinn der Sache. Man ist halt einfach da oder dort, nur …«
»… merkt man’s nicht so?«
»Ja.«
Er nickte langsam. »Dann war’s wirklich ein übles Zeug.«
»Scheiß drauf«, sagte sie. »Bin los davon.«
Sein Grinsen kehrte zurück. »Komm, wir waschen dir die Haare.«
»Die hab ich doch gestern erst gewaschen!«
»Womit? Nein! Sag’s bloß nicht!« Er scheuchte sie zur Treppe.
Im weißgekachelten Bad massierte er ihr etwas in die Kopfhaut.
»Hast du Robin in letzter Zeit gesehen?«
Er spülte ihr die Haare mit kühlem Wasser aus. » Mistah Lanier ist in London, Missy. Mistah Lanier und ich, wir reden derzeit nicht miteinander. Setz dich gerade hin.« Er stellte die Stuhllehne senkrecht und legte ihr ein Handtuch um den Hals.
»Warum nicht?« Sie merkte, wie ihr Interesse am Net-Klatsch erwachte, Porphyres zweiter Spezialität.
Der Friseur kämmte ihr die Haare nach hinten. Sein Ton war bewusst ruhig. »Weil er schlecht über Angela Mitchell geredet hat, als die auf Jamaika war, um sich den Kopf zurechtrücken zu lassen.«
Damit hatte sie nicht gerechnet. »Wirklich?«
»Und ob, Missy.« Er begann, ihr die Haare mit der Schere zu schneiden, was eins seiner Markenzeichen war. Den Laserstift lehnte er ab; er behauptete, noch nie einen angefasst zu haben.
»Machst du Witze, Porphyre?«
»Nein. So was sagt er natürlich nicht zu mir , aber Porphyre kommt so allerlei zu Ohren. Porphyre hört alles. Er ist am Morgen nach deiner Ankunft hier nach London abgereist.«
»Und was genau hast du nun gehört?«
»Dass du verrückt bist. Ob du auf Dope bist oder nicht. Dass du Stimmen hörst. Dass die Seelenklempner von Net Bescheid wissen.«
Stimmen … »Wer hat dir das erzählt?« Sie versuchte, sich auf dem Stuhl umzudrehen.
»Nicht den Kopf bewegen. So.« Er ging wieder ans Werk. »Wird nicht verraten. Vertrau mir.«
Nachdem Porphyre gegangen war, kam eine Reihe von Anrufen. Ihr Produktionsteam wollte unbedingt hallo sagen.
»Keine Anrufe mehr heute Nachmittag«, wies sie das Haus an. »Die Tally-Sequenzen schau ich mir oben an.«
Ganz hinten im Kühlschrank entdeckte sie eine Flasche Corona und nahm sie mit ins große Schlafzimmer. Das Stimgerät im Teakholz-Kopfteil des Bettes war mit Studiotroden ausgestattet, die vor ihrer Abreise nach Jamaika noch nicht dagewesen waren. Net-Techniker brachten die Anlagen im Haus regelmäßig auf den neuesten Stand. Sie trank einen Schluck Bier, stellte die Flasche auf den Nachttisch und legte sich mit den Troden auf der Stirn hin. »Okay«, sagte sie. »Schlag zu.«
Hinein in Tallys Fleisch, in Tallys Atmen.
Wie habe ich dich nur ersetzen können?, fragte sie sich, überwältigt von der Körperlichkeit des einstigen Stars. Bereite ich den Leuten dieselbe Freude?
Tally-Angie schaute über eine Schlucht hinaus, deren Hänge mit Wein bewachsen und die zugleich ein Boulevard war, blickte nach oben zum verkehrten Horizont, zu Tennisplätzen in der Ferne, zur »Sonne« von Freeside, einem strahlenden axialen Lichtband über ihr …
»Schnellvorlauf«, sagte sie zum Haus.
Hinein in geschmeidig arbeitende Muskeln und verschwommenen Beton; Tally auf dem Rad im Niederschwerkraft-Velodrom …
»Schnellvorlauf.«
Eine Restaurantszene, die Samtträger spannten an den Schultern, der junge Mann ihr gegenüber beugte sich vor und schenkte Wein nach …
»Schnellvorlauf.«
Leinenlaken, eine Hand zwischen ihren Beinen, violettes Zwielicht hinter Glasscheiben, das Plätschern von fließendem Wasser …
»Zurück. Das Restaurant.«
Der Rotwein sprudelte in ihr Glas …
»Bisschen weiter. Stop! Da.«
Tallys Blick war auf das sonnengebräunte Handgelenk des jungen Mannes gerichtet, nicht auf die Flasche.
»Ich will einen Ausdruck von dem Bild«, sagte sie und zog sich die Troden
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