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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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als Mona vielleicht neun gewesen war …
     
    Als sie zurückkam, wartete Eddy schon auf sie. Das Fenster war nicht mehr zugeklebt, und die Fliegen schwirrten herum. Eddy lag rauchend auf dem Bett, und der Schlips mit dem Bart, der sie beobachtet hatte, saß auf dem kaputten Stuhl und hatte noch immer seine Sonnenbrille auf.
     
    Prior, so nannte er sich, als hätte er keinen Vornamen. Oder wie Eddy keinen Nachnamen. Nun, sie hatte selber auch keinen Nachnamen, es sei denn, man fasste Lisa so auf, aber das war eher ein zweiter Vorname.
    Sie wurde nicht so recht schlau aus ihm in der Bude. Vielleicht lag es daran, dass er Engländer war. Eigentlich war er auch kein Schlips, wie sie gedacht hatte, als sie ihn im Einkaufszentrum gesehen hatte. Er führte irgendwas im Schilde, ihr war nur nicht klar, was. Er behielt sie ständig im Auge, sah ihr dabei zu, wie sie ihre Sachen in die blaue Lufthansa-Tasche packte, die er mitgebracht hatte, aber in seinen Blicken lag keine Geilheit; er war nicht scharf auf sie. Er beobachtete sie einfach nur, beobachtete den rauchenden Eddy, tippte sich mit der Sonnenbrille aufs Knie, hörte sich Eddys Gequatsche an und sagte so wenig wie möglich. Wenn er was sagte, dann
meistens was Witziges, aber in einem Tonfall, der kaum erkennen ließ, ob er scherzte.
    Beim Packen fühlte sie sich ganz wirr im Kopf, als hätte sie sich irgendwas reingezogen, was aber nicht richtig wirkte. Die Fliegen brummten gegen das Fenster, knallten gegen das staubige Glas, aber es störte sie nicht. Weg, sie war schon weg.
    Sst. Tasche zu.
     
    Es regnete, als sie zum Flughafen kamen, Floridaregen, warme Pisse aus einem Nirgendwohimmel. Sie war noch nie auf einem Flughafen gewesen, kannte jedoch welche aus den Stims.
    Priors Wagen war ein gemieteter weißer Datsun, der selbsttätig fuhr und sie mit Hintergrundmusik aus seiner Quadroanlage berieselte. Er setzte sie mitsamt ihrem Gepäck in einer kahlen Betonparkbucht ab und fuhr in den Regen davon. Falls Prior eine Reisetasche hatte, so trug er sie nicht bei sich. Mona hatte ihre Lufthansa-Tasche und Eddy zwei schwarze Krokoklon-Koffer.
    Sie zog sich den neuen Rock ein bisschen weiter über die Hüften und fragte sich, ob sie die passenden Schuhe dazu gekauft hatte. Eddy amüsierte sich prächtig; er hatte die Hände in den Taschen und die Schultern schräggestellt, um zu demonstrieren, dass er was Wichtiges tat.
    Sie dachte daran zurück, wie sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, damals in Cleveland, als er zu ihnen rausgekommen war, um sich den Roller anzusehen, den der Alte verkaufte, eine dreirädrige Skoda, die hauptsächlich aus Rost bestand. Der Alte züchtete Welse in Betonbecken, die den ungepflasterten Hof säumten. Sie war im Haus, als Eddy kam, in dem langen, hohen Kasten eines aufgebockten Lkw-Anhängers. In eine Seite waren Fenster geschnitten, viereckige Löcher, die mit zerkratztem Plastik verklebt waren. Sie stand gerade am Herd, wo es nach Zwiebeln in Säcken und zum
Trocknen aufgehängten Tomaten roch, als sie ihn spürte, am anderen Ende des Raumes, seine Muskeln und Schultern, die weißen Zähne, die schwarze Nylonkappe, die er schüchtern in der Hand hielt. Die Sonne schien durch die Fenster herein; es war hell in dem kargen, schlichten Raum mit dem Boden, der so gründlich gefegt war, wie der Alte es von ihr verlangte, aber es war, als würde sich ein Schatten herabsenken, ein Blutschatten, in dem sie ihr Herz pochen hörte, und er kam näher, warf die Kappe im Vorbeigehen auf den blanken Spanplattentisch – gar nicht mehr schüchtern jetzt, sondern so, als wäre er hier daheim -, kam direkt auf sie zu und strich sich dabei mit einer Hand, an der ein glänzender Ring steckte, durch den geölten Haarschopf. Dann kam der Alte herein, und Mona wandte sich ab und tat so, als hantierte sie am Herd. Kaffee, sagte der Alte, und Mona ging Wasser holen und füllte den Emaillekessel aus der Dachtankleitung, in der es durch den Kohlefilter gurgelte. Dann: Eddy und der Alte am Tisch, schwarzen Kaffee trinkend. Eddys Beine – feste Schenkel unter abgewetztem Denim – lang unter dem Tisch ausgestreckt. Lächelnd beschwatzt er den Alten, feilscht mit ihm um die Skoda. Dass sie ja ganz gut laufe und er sie ihm abkaufen würde, wenn der Alte die Papiere hätte. Der Alte steht auf und wühlt in einer Schublade. Eddys Blick ruht wieder auf ihr. Sie geht mit raus auf den Hof und sieht zu, wie er sich rittlings auf den rissigen Vinylsattel setzt.

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