Neuromancer-Trilogie
drumherum.
Sie erinnerte sich an das Deck, das er benutzt und mitgenommen hatte, eine graue Spezialanfertigung von Hosaka mit unbeschrifteter Tastatur. Es war ein Cowboy-Deck; er hatte darauf bestanden, es bei seinen Reisen mitzuführen, obwohl es damit immer Probleme beim Zoll gab. Warum hatte er den Ono-Sendai gekauft? Warum ihn hiergelassen? Sie saß auf der Bettkante; sie hob das Deck aus der Schublade und legte es auf ihren Schoß.
Ihr Vater hatte sie vor langer Zeit in Arizona vor dem Einstecken gewarnt. Das brauchst du nicht, hatte er gesagt. Und sie hatte es nicht gebraucht, weil sie den Cyberspace träumte, als würden die Neongitter der Matrix hinter ihren Augen warten.
Da gibt’s kein Dort. So erklärte man Kindern den Cyberspace. Sie erinnerte sich an den Vortrag eines lächelnden Lehrers im Kinderhort für die leitenden Angestellten der Arcologie, an die wechselnden Bilder auf dem Monitor: Piloten mit
riesigen Helmen und plumpen Handschuhen, die durch die neuroelektronisch primitive »Virtuelle Welt«-Technik effizienter mit ihren Flugzeugen in Verbindung standen, wobei ihnen zwei winzige Sichtgeräte eine computergenerierte Flut von Gefechtsdaten und die vibrotaktilen Feedback-Handschuhe eine Touch-Welt von Schaltern und Auslösern lieferten … Mit voranschreitender Technik schrumpften die Helme, und die Sichtgeräte verkümmerten …
Sie beugte sich vor, nahm die Troden und schüttelte sie, um den Kabelsalat zu entwirren.
Da gibt’s kein Dort.
Sie zog das elastische Stirnband zurecht und setzte sich die Troden an die Schläfen – eine weltweit typische Handbewegung der Menschheit, die sie jedoch nur selten ausführte. Sie drückte auf den Batterietestknopf des Ono-Sendai. Grün für startklar. Sie schaltete ein, und das Schlafzimmer verschwand hinter einer farblosen Wand aus sensorischem Schneegestöber. Ein Sturzbach weißen Rauschens ergoss sich in ihren Kopf.
Ihre Finger fanden aufs Geratewohl eine zweite Taste, und schon wurde sie durch die Schneewand in die ungeheure, aber keineswegs leere Weite katapultiert, in das fiktive Weltall des Cyberspace, und das Leuchtgitter der Matrix umgab sie wie ein unendlicher Käfig.
»Angela«, sagte das Haus ruhig, aber mit einer gewissen Dringlichkeit, »ich habe Hilton Swift in der Leitung.«
»Vorrangschaltung?« Sie saß am Küchentresen und aß Baked Beans mit Toast.
»Nein«, antwortete es in vertraulichem Ton.
»Schlag einen andern Ton an«, sagte sie, den Mund voller Bohnen. »Irgendwie ein bisschen besorgter.«
»Mr. Swift wartet «, sagte das Haus nervös.
»Schon besser«, sagte sie, während sie Schüssel und Teller zum Geschirrspüler trug, »aber ich hätte gern noch einen Hauch mehr echte Hysterie.«
»Nimmst du den Anruf nun an?« Die Stimme klang erstickt vor Anspannung.
»Nein, aber bleib bei diesem Tonfall, der gefällt mir.«
Sie ging ins Wohnzimmer, wobei sie leise zählte. Zwölf, dreizehn …
»Angela«, sagte das Haus behutsam, »ich habe Hilton Swift in der Leitung …«
»Auf Vorrangschaltung«, ergänzte Swift.
Sie machte mit den Lippen einen Furzlaut.
»Du weißt, ich respektiere deinen Wunsch, allein zu sein, aber ich mache mir Sorgen um dich.«
»Mir geht’s gut, Hilton. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Bye-bye.«
»Du bist heute Morgen am Strand gestolpert. Es sah aus, als hättest du die Orientierung verloren. Und deine Nase hat geblutet.«
»Ich hatte Nasenbluten.«
»Wir möchten, dass du dich noch mal untersuchen lässt.«
»Prima.«
»Du bist heute in die Matrix gegangen, Angie. Wir haben dich im Industriesektor von BAMA lokalisiert.«
»Das war es also?«
»Möchtest du darüber reden?«
»Da gibt’s nichts zu reden. Hab nur ein bisschen rumgespielt. Aber wenn du’s unbedingt wissen willst: Ich hab ein paar Sachen von Bobby eingepackt, die er hiergelassen hat. Du wärst begeistert gewesen, Hilton! Dabei hab ich ein Deck von ihm gefunden und ausprobiert. Hab eine Taste gedrückt, mich umgeschaut und wieder ausgesteckt.«
»Entschuldige, Angie.«
»Was denn?«
»Die Störung. Ich mache jetzt Schluss.«
»Hilton, weißt du, wo Bobby ist?«
»Nein.«
»Willst du etwa behaupten, der Net-Sicherheitsdienst hätte ihn nicht im Auge behalten?«
»Ich sage nur, dass ich es nicht weiß, Angie. Ehrlich.«
»Könntest du’s rauskriegen, wenn du wolltest?«
Wieder eine Pause. »Weiß ich nicht. Und wenn, bin ich nicht sicher, ob ich’s täte.«
»Danke. Wiederhören,
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