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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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stand, aber heute stank es da nur nach Müll. Die Seitenwand der Bude ragte hoch über ihr auf, und deshalb beeilte sie sich, bevor irgendein Arschloch auf die Idee kam, eine Flasche oder Schlimmeres runterzuwerfen. Sobald sie draußen auf der Avenue war, verlangsamte sie ihr Tempo, aber nur ein bisschen; sie war sich des Bargelds bewusst, das sie bei sich trug, und hatte einen Haufen Pläne, wie sie es ausgeben wollte. Jetzt bloß nicht ausgenommen werden, wo es so aussah, als hätte Eddy irgendwie die Fahrkarte ergattert, mit der sie hier wegkamen. Abwechselnd redete sie sich ein, dass es eine bombensichere Sache war, dass sie praktisch schon fort waren, und ermahnte sich dann wieder, sich lieber keine Hoffnungen
zu machen. Sie kannte Eddys »bombensichere Sachen«: War Florida nicht auch eine gewesen? Wie warm es in Florida wäre und all die tollen Strände und wie viele klasse Typen mit Kohle es da gäbe, genau das richtige Fleckchen für einen kleinen Arbeitsurlaub, aber der dehnte sich nun schon zum längsten Monat, an den Mona sich erinnern konnte. Und verdammt heiß war es in Florida, wie in einer Sauna. Die einzigen Strände, die sich nicht in Privatbesitz befanden, waren verdreckt und verseucht; tote Fische trieben mit dem Bauch nach oben im seichten Wasser. Vielleicht war es an den Privatstränden auch nicht anders, aber die kriegte man nicht zu sehen; nur die Absperrketten und die Wachmänner in Shorts und Bullenhemden, die dort rumstanden. Eddy fuhr total auf die Waffen der Wachmänner ab und beschrieb ihr jede einzelne in sämtlichen langweiligen Details. Er selbst hatte allerdings keine Kanone, soweit Mona wusste, und das fand sie auch ganz gut so. Manchmal konnte man nicht mal die toten Fische riechen, denn da war ein anderer Gestank, der von den Fabriken entlang der Küste stammte, ein Chlorgeruch, von dem einem der Gaumen brannte. Wenn es klasse Typen gab, so waren es doch Freier, die hier auch nicht gerade darauf versessen waren, ihr das Doppelte zu zahlen.
    So ungefähr das einzige Gute an Florida waren die Drogen, die leicht erhältlich und billig waren und meistens auch ordentlich reinknallten. Manchmal stellte sie sich vor, der Bleichgestank käme aus Millionen Drogenküchen, in denen irgendein ungeheuerlicher Cocktail zusammengebraut würde; all die Moleküle wedelten mit ihren bizarren Schwänzchen und konnten es kaum erwarten, auf die Straße zu gelangen und ihre Bestimmung zu erfüllen.
    Sie bog von der Avenue ab und ging an einer Reihe nicht konzessionierter Imbissstände entlang. Bei dem Duft begann ihr Magen zu knurren, aber sie traute dem Gossenfraß nicht,
wenn es nicht sein musste, und im Einkaufszentrum gab es konzessionierte Läden, die Bares nahmen. Auf dem asphaltierten ehemaligen Parkplatz spielte jemand Trompete, ein langatmiges kubanisches Solo, das verzerrt von den Betonwänden widerhallte und sich im morgendlichen Spektakel des Marktes verlor. Ein Wanderprediger hob die ausgebreiteten Arme, und ein blasser, verschwommener Jesus in der Luft über ihm ahmte seine Bewegung nach. Der Projektor steckte in der Kiste, auf der er stand, aber er trug einen abgenutzten Nylonrucksack mit zwei Lautsprechern, die ihm wie Totenköpfe aus blankem Chrom über die Schultern lugten. Der Prediger schaute stirnrunzelnd zu Jesus hoch und justierte etwas an seinem Gürtel. Jesus blitzte auf, wurde grün und verschwand. Mona lachte. Aus den Augen des Mannes funkelte heiliger Zorn; ein Muskel arbeitete in seiner gefurchten Wange. Mona bog nach links zwischen die Reihen von Obsthändlern, die auf ihren zerbeulten Metallkarren Orangen- und Grapefruitpyramiden errichteten.
    Sie betrat ein niedriges, höhlenartiges Gebäude, das in seinen Gängen sesshaftere Geschäfte beherbergte: Da gab es Fisch, abgepackte Lebensmittel und billige Haushaltswaren, und Imbisstheken boten ein Dutzend warme Speisen an. Hier im Schatten war es kühler und etwas ruhiger. Sie fand einen Wantan-Stand mit sechs leeren Hockern und setzte sich auf einen. Der chinesische Koch sprach sie auf Spanisch an; sie bestellte, indem sie auf das zeigte, was sie haben wollte. Er brachte ihr Suppe in einer Plastikschale; sie bezahlte mit ihrem kleinsten Schein, und er gab ihr acht speckige Pappmarken heraus. Wenn es Eddy ernst war mit dem Abhauen, dann konnte sie die nicht mehr einlösen, und falls sie in Florida blieben, konnte sie sich jederzeit irgendwo Wantan holen. Sie schüttelte den Kopf. Es muss klappen, es muss einfach klappen. Sie

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