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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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schob die abgegriffenen, runden gelben Marken
über den lackierten Sperrholztresen zurück. »Behalt sie.« Der Koch kassierte sie ein, ohne eine Miene zu verziehen. Er hatte einen blauen Plastikzahnstocher im Mundwinkel stecken.
    Sie nahm sich Stäbchen aus dem Glas auf dem Tresen und fischte eine Teigtasche aus der Schale. Ein Schlips im Gang hinter den Töpfen und Flammen beobachtete sie. Ein Schlips, der wie was anderes auszusehen versuchte; weißes Sporthemd und Sonnenbrille. Ist vor allem die Art, wie die dastehen, dachte sie. Aber er hatte auch die entsprechenden Zähne und den Haarschnitt, obwohl er einen Bart trug. Er tat so, als würde er sich umschauen und einkaufen, die Hände in den Taschen und ein Lächeln auf den Lippen, das wohl geistesabwesend wirken sollte. Sah gut aus, der Schlips, soweit man das bei dem Bart und der Sonnenbrille sehen konnte. Das galt aber nicht für sein Lächeln. Es war quasi quadratisch, so dass man die meisten seine Zähne zu sehen kriegte. Sie rutschte unbehaglich auf dem Hocker hin und her. Prostitution war erlaubt, aber nur, wenn man es richtig machte, wenn man den Chip vom Finanzamt und das alles hatte. Mit einem Mal musste sie an das Geld in ihrer Tasche denken. Sie tat so, als läse sie die auf den Tresen geklebte, folienbeschichtete Lizenz zum Betrieb eines Speiselokals. Als sie wieder aufblickte, war er weg.
     
    Für die Kleidung gab sie einen Fünfziger aus. Sie wühlte sich durch achtzehn Ständer in vier Shops, das gesamte Angebot des Einkaufszentrums, ehe sie sich entschied. Die Verkäufer und Verkäuferinnen sahen es nicht gern, dass sie so viel anprobierte, aber eine solche Summe hatte sie noch nie zum Ausgeben gehabt. Es war schon Mittag, als sie fertig war, und die Floridasonne brannte kochend heiß auf den Asphalt, als sie mit ihren zwei Plastiktüten den Parkplatz überquerte. Die Tüten waren secondhand, wie die Kleider: eine war mit dem
Logo eines Schuhgeschäfts in der Ginza bedruckt, die andere warb für argentinische Meeresfrüchtebriketts aus Krillkonzentrat. Im Geiste kombinierte sie die Sachen, die sie gekauft hatte, und überlegte, was wozu passte.
    Auf der anderen Seite des Platzes brüllte der Prediger mit voller Lautstärke mitten in seinem Sermon los, als hätte er sich in geifernde Erregung gesteigert, bevor er den Verstärker zuschaltete, und der Holo-Jesus fuchtelte mit den weißgewandeten Armen und deutete zornig zum Himmel, zum Einkaufszentrum und wieder zum Himmel. Das Reich Gottes, sagte er. Das Reich Gottes ist nah.
    Mona bog wahllos um eine Ecke, wich automatisch und reflexhaft einem Irren aus und spazierte an ausgebleichten Spieltischen entlang, auf denen billige Indo-Simstim-Sets, gebrauchte Kassetten und bunte Mikrosoft-Stifte ausgebreitet waren, die in hellblauen Styroporplatten steckten. Hinter einem dieser Tische klebte ein Bild von Angie Mitchell, ein Poster, das Mona noch nie gesehen hatte. Sie blieb stehen und betrachtete es gierig, musterte zuerst die Kleidung und das Make-up des Stars und versuchte dann herauszufinden, vor welchem Hintergrund man sie aufgenommen hatte. Unwillkürlich ahmte sie Angies Miene auf dem Poster nach. Es war kein richtiges Lächeln. Ein Anflug von einem Lächeln, ein bisschen traurig vielleicht. Mona hatte eine ganz besondere Beziehung zu Angie. Sie sah ihr nämlich ähnlich, was ihr auch manche Freier bestätigten. Als wäre sie Angies Schwester. Nur dass ihre – Monas – Nase schräger saß und dass Angies Wangenknochen nicht mit Sommersprossen getüpfelt waren. Monas Anflug von einem Angie-Lächeln wurde breiter, als sie das Bild betrachtete und in seiner Schönheit, im Luxus des abgebildeten Raumes badete. Sie tippte auf ein Schloss, vermutlich ihr Zuhause – ja, ganz bestimmt -, mit einem Haufen Leute, die für sie da waren, ihr die Haare machten und ihre Kleider aufhängten,
denn man konnte sehen, dass die Mauern aus großen Steinen gefügt und die massiv goldenen Rahmen der Spiegel mit Blattranken und Engeln verziert waren. In der Bildunterschrift stand vielleicht, wo es war, aber Mona konnte nicht lesen. Jedenfalls gab’s da keine beschissenen Schaben, so viel stand fest, und einen Eddy auch nicht. Ihr Blick fiel auf die Stim-Sets, und sie erwog einen Moment lang, sich von ihrem restlichen Geld eins zu kaufen. Aber dann hatte sie nicht mehr genug für ein Stim, und außerdem waren die hier alt, teils älter als sie selbst. Da war diese Dingsda, diese Tally, ein großer Star zu der Zeit,

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