Neuromancer-Trilogie

Entführung. Die Berühmtheit?«, fuhr der Finne fort.
    Sie merkte, dass Sally zögerte. »Angela Mitchell.«

    Das pinkfarbene Metronom pendelte lautlos von links nach rechts, rechts nach links.
    »Kalt hier, Finne.«
    »Ja. Wünschte, ich könnt’s spüren. Hab nur rasch’nen kleinen Ausflug gemacht, deinetwegen. Memory Lane. Hast du’ne ungefähre Ahnung, woher Angie kommt?«
    »Nein.«
    »Ich bin im Orakelgeschäft, Süße, kein orschungsarchiv. Ihr Vater war Christopher Mitchell, damals der Obercrack in der Biochip-Forschung bei Maas Biolabs. Sie ist in einer abgeschotteten Firmenanlage in Arizona aufgewachsen. Typisches Firmenkind. Vor rund sieben Jahren ist da unten irgendwas passiert. Auf der Straße hieß es, Hosaka hätte ein Profiteam auf den Platz geschickt, um Mitchell bei’ner größeren beruflichen Veränderung behilflich zu sein. Im Fax stand, auf dem Gelände von Maas hätte’ne Detonation im Megatonnenbereich stattgefunden, aber es ist keinerlei Radioaktivität gemessen worden. Hosakas Söldner hat man auch nie gefunden. Maas hat Mitchells Tod bekanntgegeben. Angeblich Selbstmord.«
    »So weit zum Archiv. Und was weiß das Orakel?«
    »Gerüchte. Nichts Zusammenhängendes. Auf der Straße hieß es, die Mitchell wäre ein, zwei Tage nach der Explosion in Arizona mit ein paar ziemlich ausgeflippten Niggern aus New Jersey hier aufgetaucht.«
    »Was waren das für Typen?«
    »Dealer. Hauptsächlich Software. Einkauf und Verkauf. Manchmal haben sie auch bei mir gekauft.«
    »Inwiefern waren die ausgeflippt?«
    »Hoodoos. Glaubten, die Matrix sei voller Mambos und so. Und soll ich dir was sagen, Moll?«
    »Was denn?«
    »Die hatten Recht.«

23
    Spieglein Spieglein
    Sie kam zu sich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Machte die Augen nicht auf. Sie hörte sie in einem anderen Zimmer reden. Ihr tat alles weh, aber nicht schlimmer als vom Wiz. Der schlimme Crash war vorbei oder vielleicht auch nur von dem Zeug gelindert worden, das sie ihr gegeben hatten, diesem Spray.
    Der Papierkittel war rau an den Brustwarzen. Sie fühlten sich groß und zart an, die Brüste voll. Ein Zwicken und Kneifen im Gesicht, dumpfer Schmerz in beiden Augenhöhlen, Blutgeschmack und ein wundes Gefühl im Mund.
    »Ich will dir ja nicht reinreden«, sagte Gerald über einen laufenden Wasserhahn und das Klappern von Metall hinweg, als würde er Bettpfannen oder dergleichen spülen, »aber du machst dir was vor, wenn du glaubst, sie könnte jemanden täuschen, der nicht getäuscht werden möchte. Ist wirklich eine sehr oberflächliche Arbeit.« Prior erwiderte etwas, was sie nicht verstehen konnte. »Ich habe gesagt oberflächlich, nicht schlampig. Alles Qualitätsarbeit. Vierundzwanzig Stunden am Dermalstimulator, und man sieht ihr nicht mehr an, dass sie hier gewesen ist. Gib ihr weiter die Antibiotika und sieh zu, dass sie keine Aufputschmittel nimmt. Ihr Immunsystem ist nicht gerade das allerbeste.« Dann sagte Prior wieder etwas, aber sie verstand ihn immer noch nicht.
    Machte die Augen auf, aber da war nur die Decke, weiße schalldämmende Rechteckfliesen. Drehte den Kopf nach links. Weiße Plastikwand mit einem dieser falschen Fenster, hochauflösende Animation eines Palmenstrands mit Wellen; wenn man lange genug hinschaute, sah man immer wieder dieselben Wellen heranrollen, eine programmierte Endlosschleife. Allerdings war das Ding kaputt oder verschlissen; die Wellen
stockten irgendwie, und das Abendrot flimmerte wie eine kaputte Neonröhre.
    Versuch’s mit rechts. Sie drehte den Kopf, spürte den verschwitzten Papierbezug des harten Schaumstoffkissens im Nacken …
    Und das Gesicht mit den blutunterlaufenen Augen, das sie aus dem anderen Bett ansah, die Nase mit durchsichtigem Kunststoff und Mikropor-Pflaster geschient, eine Art braunes Gelee über die Wangenknochen verschmiert …
    Angie. Es war Angies Gesicht, eingerahmt vom reflektierten Abendrotflimmern des defekten Fensters.
     
    »An den Knochen haben wir nichts gemacht«, erklärte Gerald, während er behutsam das Pflaster ablöste, das die kleine Plastikschiene auf dem Nasenrücken fixierte. »Das war ja das Schöne daran. Wir sind durch die Nasenlöcher reingegangen und haben den Nasenknorpel teilweise abgetragen, dann haben wir die Zähne gemacht. Lächle mal. Wunderschön. Wir haben den Busen vergrößert, die Brustwarzen mit laborerzeugtem Erektilgewebe aufgebaut und die Augen umgefärbt.« Er nahm die Schiene ab. »Die darfst du in den nächsten