Neuromancer-Trilogie
vierundzwanzig Stunden nicht berühren.«
»Kommen daher die Blutergüsse?«
»Nein. Das ist ein Sekundärtrauma von der Knorpelabschälung.« Geralds Finger in ihrem Gesicht waren kühl und präzise. »Müsste bis morgen weg sein.«
Gerald war in Ordnung. Er hatte ihr drei Derms gegeben, zwei blaue und ein pinkfarbenes, glatte, angenehme Dinger. Prior war es eindeutig nicht, aber der war nicht da oder ließ sich zumindest nicht blicken. Und es war einfach nett, Gerald zuzuhören, wie er ihr in ruhigem Ton alles erklärte. Und er hatte wirklich was drauf.
»Sommersprossen«, sagte sie, weil die weg waren.
»Ausgeschält, mit laborerzeugtem Gewebe gefüllt. Kommen aber wieder. Noch schneller, wenn du zu viel Sonne kriegst.«
»Sie ist so schön …« Sie drehte den Kopf.
»Du, Mona. Das bist du.«
Sie betrachtete das Gesicht im Spiegel und versuchte, das berühmte Lächeln aufzusetzen.
Vielleicht war Gerald doch nicht in Ordnung.
Als sie wieder in dem schmalen weißen Bett lag, in das er sie gesteckt hatte, damit sie sich erholte, hob sie den Arm und betrachtete die drei Derms. Tranquilizer. Sie schwebte.
Sie schob einen Fingernagel unter das pinkfarbene Derm, pulte es ab, klebte es an die weiße Wand und drückte fest mit dem Daumen drauf. Ein einzelner strohgelber Tropfen rann herunter. Vorsichtig hob sie es ab und klebte es sich wieder auf den Arm. Das Zeug in den blauen war milchweiß. Auch die klebte sie wieder an. Vielleicht würde er es merken, aber sie wollte mitbekommen, was sich hier tat.
Sie schaute in den Spiegel. Gerald hatte gesagt, er könne später den Originalzustand wiederherstellen, wenn sie wolle, aber sie fragte sich, woher er dann wissen wollte, wie sie ausgesehen hatte. Vielleicht hatte er ein Foto gemacht oder so. Dabei ging ihr durch den Kopf, dass es vielleicht niemanden gab, der sich an ihr früheres Aussehen erinnern würde. Michaels Stim-Deck war wahrscheinlich der heißeste Tip, aber sie wusste seine Adresse nicht, kannte nicht mal seinen Nachnamen. Es war ein komisches Gefühl, als wäre ihr altes Ich mal kurz die Straße runtergegangen und nicht mehr wiedergekommen. Aber dann schloss sie die Augen und wusste, dass sie Mona war, so wie immer, und dass sich nicht viel geändert hatte, jedenfalls nicht hinter ihren Lidern.
Lanette sagte, es spiele keine Rolle, wie man sich ummodeln ließ. Sie hatte ihr mal erzählt, von ihrem alten Gesicht,
mit dem sie auf die Welt gekommen sei, seien keine zehn Prozent mehr übrig. Da würde man nie draufkommen, abgesehen von den schwarzgerandeten Lidern; mit Wimperntusche brauchte sie jedenfalls nicht mehr rumzupfuschen. Mona war von der Qualität der Arbeit an Lanette nicht so ganz überzeugt gewesen, und das musste man ihr wohl auch angesehen haben, denn Lanette hatte gesagt: Du hättest mich vorher sehen sollen, Schätzchen.
Und nun lag sie, Mona, lang ausgestreckt in diesem schmalen Bett in Baltimore, und ihre einzigen Eindrücke von Baltimore bestanden aus dem Heulen einer Sirene unten auf der Straße und dem Motorgeräusch von Geralds Klimaanlage.
Und das ging irgendwie bruchlos in Schlaf über. Wie lange sie geschlafen hatte, wusste sie nicht, aber dann war Prior da, hatte die Hand auf ihrem Arm und fragte, ob sie Hunger habe.
Sie sah Prior zu, wie er sich den Bart abnahm. Er stand an der rostfreien OP-Spüle, stutzte ihn mit einer Chromschere und wechselte dann zu einem weißen Plastik-Einwegrasierer aus einer Packung von Gerald über. Es war merkwürdig zu sehen, wie sein Gesicht zum Vorschein kam. Es war nicht das Gesicht, das sie erwartet hätte; es war viel jünger. Aber der Mund war der gleiche.
»Bleiben wir noch lange hier, Prior?«
Er hatte sich zum Rasieren das Hemd ausgezogen; auf Schultern und Oberarmen waren Tattoos, Drachen mit Löwenhäuptern. »Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte er.
»Mir ist langweilig.«
»Wir besorgen dir’n paar Stims.« Er rasierte sich gerade unterm Kinn.
»Wie ist Baltimore?«
»Beschissen. Wie überall hier.«
»Und wie ist England?«
»Beschissen.« Er wischte sich mit einem dicken Bausch aus saugfähigem blauem Papier das Gesicht ab.
»Vielleicht könnten wir mal ausgehn und Krabben essen. Gerald sagt, hier gibt’s Krabben.«
»Stimmt«, sagte er. »Ich hol welche.«
»Wollen Sie mich nicht mal ausführen?«
Er warf das blaue Papier in einen Abfallbehälter aus Edelstahl. »Nein, du könntest versuchen abzuhauen.«
Sie schob die Hand zwischen Bett und Wand
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