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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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weil er die Geste als Ablehnung interpretierte.
    Er sagte, Slick müsse reingehen, nur für ein paar Sekunden vielleicht, so dass er an die Daten rankäme und eine Makroform
erarbeiten könne. Slick sei zu Letzterem nicht imstande, sagte Gentry, sonst würde er selber reingehen. Nicht auf die Daten sei er scharf, sondern auf die Form insgesamt, denn die werde ihn seiner Meinung nach zu der großen Gestalt führen, der er schon so lange nachjage.
    Slick erinnerte sich, wie er Solitude zu Fuß durchquert hatte. Er hatte schreckliche Angst gehabt, wieder sein Korsakov zu kriegen, zu vergessen, wo er war, und das krebserregende Wasser aus den schmierigen roten Pfützen auf der rostigen Ebene zu trinken. Roter Schleim, in dem tote Vögel mit ausgebreiteten Flügeln trieben. Der Trucker aus Tennessee hatte ihm gesagt, er solle vom Highway aus nach Westen gehen, dann würde er innerhalb einer Stunde auf eine zweispurige Asphaltstraße stoßen und eine Mitfahrgelegenheit nach Cleveland kriegen. Aber mittlerweile war er seinem Gefühl nach schon mehr als eine Stunde unterwegs gewesen, außerdem wusste er nicht so genau, wo Westen war, und der Ort war ihm unheimlich: ein Schuttabladeplatz, eine wie von Riesenfüßen plattgetretene Narbe in der Landschaft. Einmal sah er weit weg jemand auf einem niedrigen Hügel und winkte. Die Gestalt verschwand, aber er ging trotzdem in ihre Richtung, versuchte nicht mehr, die Pfützen zu umrunden, sondern plantschte mitten hindurch, bis er zu dem Hügel kam und sah, dass es der flügellose, zur Hälfte in rostigen Dosen begrabene Rumpf eines Verkehrsflugzeugs war. Er fand einen Weg den Hang hinauf, wo die Dosen plattgetreten waren, und gelangte zu einer viereckigen Öffnung, die einstmals ein Notausstieg gewesen war. Steckte den Kopf hinein und sah Hunderte von kleinen Köpfen von der gewölbten Decke hängen. Er erstarrte und kniff in dem plötzlichen Halbdunkel die Augen zusammen, bis das, was er sah, einen gewissen Sinn ergab. Rosige Plastikpuppenköpfe mit Nylonhaar, das oben auf den Köpfen zu Knoten gebunden war. Die Knoten steckten in dickem,
schwarzem Teer, die Köpfe baumelten wie Obst herab. Sonst nichts, nur ein paar rissige Matratzen aus dreckigem grünem Schaumstoff, und er wusste, dass er da nicht länger bleiben wollte, um rauszufinden, wer hier hauste.
    Danach war er nach Süden gegangen, ohne es zu wissen, und hatte Factory gefunden.
    »So’ne Chance krieg ich nie wieder«, sagte Gentry. Slick starrte in das angespannte Gesicht mit den vor Verzweiflung weit aufgerissenen Augen. »Ich werd sie nie sehen …«
    Und Slick erinnerte sich daran, wie Gentry ihn geschlagen hatte, wie er auf den Schraubenschlüssel hinabgesehen hatte und dabei ein Gefühl der … Nun, was Cherry von ihnen dachte, stimmte nicht, aber es war trotzdem was zwischen ihnen, das er nicht benennen konnte. Er schnappte sich das Trodennetz mit der Linken und stieß Gentry mit der Rechten hart vor die Brust. »Halt die Schnauze! Halt die Schnauze, verdammt!« Gentry taumelte. Slick verfluchte ihn leise, während er sich das feine Netz aus Kontaktdermatroden über Stirn und Schläfen zog.
    Stecker rein.
     
    Seine Stiefel knirschten auf Kies.
    Augen auf, Blick nach unten; eine glatte, geschotterte Auffahrt im Morgenlicht, sauberer als alles auf Dog Solitude. Er hob den Blick, sah sie um eine Kurve verschwinden und entdeckte hinter ausladenden grünen Bäumen das schiefergedeckte Giebeldach eines Hauses, das halb so groß war wie Factory. Um ihn herum standen Statuen in dem hohen, feuchten Gras. Ein eherner Hirsch und die kaputte Figur eines Männerkörpers aus weißem Stein, ohne Arme, Beine und Kopf. Vögel sangen, ansonsten war nichts zu hören.
    Er ging die Auffahrt hinauf zu dem grauen Haus, denn das schien das Einzige zu sein, was er tun konnte. Als er ans Ende
der Auffahrt gelangte, sah er hinter dem Haus noch einige kleinere Gebäude und eine weite, flache Wiese, auf der Drachenflieger gegen den Wind angepflockt waren.
    Wie im Märchen, dachte er, als er zu dem breiten steinernen Gesims des Landsitzes hinaufschaute, zu den bleiverglasten, rautenförmigen Fenstern; wie in einem Video, das er als Kind gesehen hatte. Gab es wirklich Menschen, die an solchen Orten lebten? Aber es ist kein Ort, rief er sich ins Gedächtnis, es erweckt nur den Anschein.
    »Gentry«, sagte er, »hol mich hier raus, okay?«
    Er betrachtete seine Handrücken. Narben, tiefsitzender Schmutz, halbmondförmige schwarze Ränder unter

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