Neuromancer-Trilogie
verschlossenen Türen Instruktionen erteilte. Sie konnte nicht verstehen, was er im Einzelnen sagte, sie hörte nur einen Schwall leiser Ermahnungen.
Das Maas-Neotek-Gerät steckte in ihrer Tasche, aber sie ließ die Finger davon. Zweimal schon hatte Colin versucht, ihr das Vorhaben auszureden.
Als Dick nun von Petal entlassen wurde, war sein harter kleiner Mund zu einem Lächeln verzogen. Unter dem engen schwarzen Anzug trug er einen pinkfarbenen Kaschmir-Rollkragenpullover und eine dünne graue Lammwollweste. Sein schwarzes Haar war mit Gel straff nach hinten gekämmt, und die blassen Wangen waren mit ein paar Stunden alten Bartstoppeln übersät. Kumikos Hand schloss sich um das Gerät in ihrer Tasche. »Hallo«, sagte Dick und musterte sie vom Scheitel bis zur Sohle. »Also, wo soll’s hingehen?«
»Portobello Road«, sagte Colin, der neben dem überfüllten Kleiderständer an der Wand lehnte. Dick nahm sich einen dunklen Mantel, wobei er durch Colin hindurchgriff, schlüpfte hinein und knöpfte ihn zu. Dann zog er dicke schwarze Lederhandschuhe an.
»Portobello Road«, sagte Kumiko und ließ das Gerät los. »Seit wann arbeiten Sie schon für Mr. Swain?«, fragte sie, während sie langsam den vereisten Bürgersteig der halbmondförmigen Straße entlanggingen.
»Lang genug«, antwortete er. »Passen Sie auf, dass Sie nicht ausrutschen. Haben tückische Absätze, die Stiefel.«
Kumiko stakste in ihren schwarzen französischen Lackstiefeln neben ihm her. Wie sie vorausgesehen hatte, war es schier unmöglich, sich mit diesen Stiefeln über die glasharten, wenigen Eisflächen zu manövrieren. Sie nahm seine Hand und ließ sich stützen. Dabei spürte sie hartes Metall in seinem Handteller. Die Handschuhe waren mit Gewichten beschwert, die Finger mit Karbonfasergeflecht verstärkt.
Er sagte nichts, als sie am Ende der Straße abbogen, aber als sie die Portobello Road erreichten, hielt er inne. »Verzeihung,
Miss«, sagte er mit einem zögernden Unterton, »aber stimmt es, was die Jungs sagen?«
»Wie bitte? Welche Jungs?«
»Swains Jungs, sein Stammpersonal. Dass Sie die Tochter des großen Chefs sind – des großen Chefs in Tokio?«
»Bedaure, aber ich verstehe nicht.«
»Yanaka. Ihr Name ist Yanaka?«
»Kumiko Yanaka, ja.«
Er beäugte sie mit großer Neugier. Dann ging ein Ausdruck der Besorgnis über sein Gesicht, und er schaute sich aufmerksam um. »Herrje«, sagte er, »muss wohl stimmen …« Sein untersetzter Körper in den stramm sitzenden Kleidern war wachsam und angespannt. »Der Boss sagt, Sie wollen shoppen gehen?«
»Ja, bitte.«
»Wohin möchten Sie?«
»Hier hinein«, sagte sie und führte ihn in eine enge Ladenpassage voller britischem Gomi .
Ihre Shopping-Expeditionen in Shinjuku kamen ihr bei Dick zugute. Die Techniken, die sie entwickelt hatte, um Vaters Sekretäre zu quälen, erwiesen sich nun als ebenso wirksam, als sie den Mann zwangsweise an Dutzenden unsinniger Entscheidungen zwischen dem einen oder anderen King-Edward-Medaillon oder diesen und jenen Buntglasscherben beteiligte, wobei sie jedoch darauf achtete, am Ende nur zerbrechliche oder besonders schwere Stücke zu nehmen, die unhandlich und unverschämt teuer waren. Eine gutgelaunte zweisprachige Verkäuferin belastete Kumikos Mitsu-Bank-Chip mit achtzigtausend Pfund. Kumiko ließ die Hand in die Tasche gleiten und umfasste das Maas-Neotek-Gerät. »Ein erlesenes Stück«, sagte die englische Verkäuferin auf Japanisch, während sie Kumikos Erwerbung – eine Ormulu-Vase mit Greif-Darstellungen – einpackte.
»Scheußlich«, bemerkte Colin auf Japanisch. »Und ein Imitat obendrein.« Er hing in einem viktorianischen Rosshaarsofa und hatte die Beine auf der Platte eines Art-Deco-Cocktailtischs, die von stromlinienförmigen Aluminiumengeln getragen wurde.
Die Verkäuferin bürdete dem bereits schwer beladenen Dick die verpackte Vase auf. Es war Dicks elftes Antiquitätengeschäft und Kumikos achter Kauf.
»Du solltest jetzt mal in Aktion treten«, riet Colin ihr. »Unser Dick wird nämlich jeden Moment bei Swain anrufen und einen Wagen anfordern, der das Zeug heimschafft.«
»Na, war’s das nun?«, fragte Dick hoffnungsvoll über Kumikos Erwerbungen hinweg.
»Noch ein Geschäft, bitte.« Kumiko lächelte.
»Na schön«, grummelte er. Als er hinter ihr aus der Tür kam, rammte sie den linken Stöckelabsatz in einen Spalt im Pflaster, den sie beim Hineingehen bemerkt hatte. »Ist was?«, fragte er, als er sie
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