Neuromancer-Trilogie
Arsch, was?«
»Mach dir deswegen keine Gedanken«, sagte Slick. »Ich schätze, Gentry hat jetzt was anderes im Kopf.«
»Gut …« Er torkelte in Richtung Factory, wäre fast gestürzt, fing sich wieder und ging weiter.
»Der schwebt ja, so high ist der«, sagte Cherry.
»He, Bird«, rief Slick, »was is’n mit der Tüte mit dem Shit, die du Marvie geben solltest?«
Bird schwankte, drehte sich um. »Hab ich verlorn …« Dann war er um eine Wellblechecke verschwunden.
»Vielleicht phantasiert er sich das bloß zusammen«, sagte Cherry. »Das mit diesen Leuten. Oder er sieht Gespenster.«
»Glaub ich nicht«, meinte Slick und zog sie tiefer in den Schatten, als ein unbeleuchteter Honda aus dem winterlichen Zwielicht auf Factory zugeflogen kam.
Er hörte, wie der Honda zum fünften Mal über Factory hinwegflog, als er die schwankenden Stufen hinaufstürmte. Das Blechdach vibrierte. Jedenfalls würde das Gentrys Aufmerksamkeit darauf lenken, dass sie Besuch bekamen, dachte er. Den wackligen Steg nahm er mit zehn großen, langsamen Schritten. Er fragte sich allmählich, ob sie den Count auf seiner Trage überhaupt wieder rausbringen würden, ohne einen zusätzlichen I-Träger an den Steg anzuschweißen. Er betrat das helle Loft, ohne anzuklopfen. Gentry saß an einer Werkbank, hielt den Kopf schräg und schaute zu den Oberlichtern aus Plastik hinauf. Die Werkbank war mit Hardware-Teilen und kleinem Werkzeug übersät.
»Hubschrauber«, sagte Slick, außer Atem vom Treppensteigen.
»Hubschrauber«, gab Gentry ihm Recht und nickte nachdenklich, wobei der zerzauste Hahnenschwanz wippte. »Die scheinen was zu suchen.«
»Ich glaube, sie haben’s schon gefunden.«
»Könnte die Fission Authority sein.«
»Bird hat Leute bei Marvie gesehen. Und den Hubschrauber auch. Du hast nicht richtig zugehört, als ich dir erzählen wollte, was er gesagt hat.«
»Bird?« Gentry betrachtete den bunten Kleinkram auf der Werkbank, griff sich zwei Teile und steckte sie mit einer Drehbewegung zusammen.
»Der Count! Er hat mir erzählt …«
»Bobby Newmark«, unterbrach Gentry. »Ja. Ich weiß jetzt’ne Menge mehr über Bobby Newmark.«
Cherry kam hinter Slick herein. »Mit der Brücke müsst ihr echt was machen«, sagte sie und ging sofort zur Trage. »Die wackelt zu stark.« Sie bückte sich und checkte die Messwerte des Count.
»Komm mal her, Slick«, sagte Gentry und stand auf. Er ging zum Holotisch. Slick folgte ihm und betrachtete das Bild, das dort leuchtete. Es erinnerte ihn an die Teppiche, die er in dem grauen Haus gesehen hatte. Ähnliche Muster, nur waren diese hier aus haarfeinen Neonlinien gewoben und zu einer Art endlosem Knoten verflochten. Der Blick ins Zentrum des Knotens verursachte ihm Kopfschmerzen. Er schaute weg.
»Ist es das?«, fragte er Gentry. »Was du dauernd gesucht hast?«
»Nein, hab ich dir doch erklärt. Das ist nur ein Knoten, eine Makroform. Ein Modell.«
»Er hat ein Haus da drin, ein richtiges Schloss, Gras und Bäume und Himmel …«
»Viel mehr als das. Noch ein ganzes Universum mehr. Das war nur eine Konstruktion aus einem Werbestim. Der hat
ein Konzentrat der Gesamtsumme aller Daten, die den Cyberspace ausmachen. Trotzdem bin ich jetzt näher dran als je zuvor … Hat er dir nicht gesagt, warum er da drin ist?«
»Hab ihn nicht gefragt.«
»Dann musst du noch mal rein.«
»He. Gentry. Hör zu. Dieser Hubschrauber kommt wieder. Und zwar mit zwei Hovercrafts voller Typen, die wie Soldaten aussehen, sagt Bird. Die sind nicht hinter uns her, Mann, sondern hinter ihm .«
»Vielleicht gehören sie zu ihm. Vielleicht haben sie’s auf uns abgesehen.«
»Nein. Er hat’s mir doch gesagt , Mann! Er sagt, wenn ihn jemand suchen kommt, sitzen wir echt in der Scheiße und müssen ihn in die Matrix einstecken.«
Gentry betrachtete das kleine Verbindungsstück, das er noch in der Hand hielt. »Wir reden mit ihm, Slick. Du gehst noch mal rein. Diesmal komm ich mit.«
29
Winterreise
Petal hatte sich schließlich breitschlagen lassen, allerdings erst, als sie ihm vorgeschlagen hatte, ihren Vater anzurufen und um Erlaubnis zu fragen. Daraufhin war er unglücklich abgezogen, um Swain zu suchen, und als er zurückkam, sah er keineswegs glücklicher aus. Die Antwort lautete ja. In mehrere Schichten ihrer wärmsten Kleidung eingemummelt, stand sie im weißgestrichenen Foyer und betrachtete die Jagddrucke, während Petal dem Mann mit dem roten Gesicht, der Dick hieß, hinter
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