Neuromancer-Trilogie
und sie erklärte, sie müsse mal ins Bad.
»Versuch nicht, abzuhauen.« Die Frau schien Prior über den Rand ihrer weißen Porzellantasse hinweg zu beobachten, aber wegen der Gläser konnte man das nicht so genau sagen.
Irgendwie fand Mona sich im Bad wieder, mit ihrer Tasche auf dem Schoß. Sie beeilte sich mit dem Wiz, zermahlte das Zeug nicht fein genug, so dass es hinten im Hals brannte, aber dann erinnerte sie sich an Lanettes Spruch, dass man nicht immer Zeit für die Feinheiten hatte. Und überhaupt, war jetzt nicht alles schon viel besser? In Geralds Bad gab es eine kleine Dusche, aber die sah aus, als wäre sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden. Mona schaute genauer hin und entdeckte grauen Schimmel rund um den Abfluss und Flecken, die wie getrocknetes Blut aussahen.
Als sie zurückkam, schleifte die Frau Prior gerade an den Füßen in ein anderes Zimmer. Er hatte Socken an, keine Schuhe, fiel Mona jetzt auf, als hätte er die Beine zum Schlafen hochgelegt gehabt. Blut klebte an seinem blauen Hemd, und sein Gesicht war völlig zerschlagen.
Was Mona empfand, als das Wiz reinknallte, war eine heitere, unschuldige Neugier. »Was machen Sie da?«
»Ich glaube, ich muss ihn aufwecken«, sagte die Frau, als spräche sie in der U-Bahn über einen Fahrgast, der gleich seine Haltestelle verpassen würde. Mona folgte ihr in den Raum, in dem Gerald seine Arbeit erledigte. Alles war sauber und krankenhausweiß. Sie sah zu, wie die Frau Prior auf einen Stuhl wuchtete, wie man ihn in Schönheitssalons hatte, mit Hebeln und Knöpfen und so. Sie ist gar nicht so stark, dachte Mona, aber sie weiß, wie sie mit dem Gewicht umgehen muss. Priors Kopf kippte zur Seite, als die Frau einen schwarzen Gurt um seine Brust festzurrte. Er begann Mona bereits leidzutun, aber dann fiel ihr Eddy ein.
»Was hast du?« Die Frau ließ Wasser aus einem verchromten Hahn in einen weißen Plastikeimer laufen.
Mona versuchte immer wieder, es auszusprechen; sie merkte, wie das Wiz ihren Herzschlag immer weiter beschleunigte, aber sie konnte nichts dagegen tun. Er hat Eddy umgebracht, versuchte sie dauernd zu sagen, doch es wollte ihr nicht über die Lippen. Aber dann kam es wohl doch raus, denn die Frau sagte: »Tja, so was bringt er fertig … wenn man ihn lässt.« Sie schüttete Prior das Wasser ins Gesicht und übers Hemd. Seine Augen sprangen auf. Das Weiße des linken Auges war tiefrot. Weiße Funken sprühten von den Metallzacken des Schockers, als die Frau ihn gegen sein nasses blaues Hemd drückte. Prior schrie.
Gerald musste auf alle viere heruntergehen, um Mona unter dem Bett hervorzuziehen. Er hatte kühle, sehr sanfte Hände.
Sie wusste nicht mehr, wie sie unters Bett gekommen war, aber jetzt war alles still. Gerald hatte einen grauen Mantel an und eine dunkle Brille auf.
»Du gehst jetzt mit Molly, Mona«, sagte er.
Sie begann zu zittern.
»Ich glaube, ich gebe dir besser was für die Nerven.«
Sie zuckte zurück und entwand sich seinem Griff. »Nein! Fass mich nicht an!«
»Lass gut sein, Gerald«, sagte die Frau von der Tür. »Wird Zeit, dass du verschwindest.«
»Ich glaube nicht, dass du weißt, was du tust«, sagte er, »aber trotzdem viel Glück.«
»Danke. Meinst du, du wirst den Laden hier vermissen?«
»Nein. Ich wollte mich sowieso bald zur Ruhe setzen.«
»Ich auch«, sagte die Frau, und dann ging Gerald, ohne Mona auch nur noch einmal zuzunicken.
»Hast du Klamotten hier?«, wandte sich die Frau an Mona. »Dann zieh dich an. Wir müssen auch los.«
Beim Anziehen stellte Mona fest, dass sie das Kleid über den neuen Brüsten nicht mehr zuknöpfen konnte. Also ließ sie es offen, schlüpfte in Michaels Jacke und zog den Reißverschluss bis zum Kinn zu.
28
Gesellschaft
Manchmal brauchte er sich nur hinzustellen und zum Richter hinaufzuschauen oder sich neben die Hexe auf den Beton zu hocken. Das half gegen das Gedächtnisstottern. Nicht gegen die Aussetzer und die echten Rückblenden, aber gegen das ruckhafte, verschwommene Gefühl, als würde das Speicherband in seinem Kopf immer wieder durchrutschen und dabei winzige Erinnerungspartikel einbüßen. Also tat er das jetzt,
und es wirkte, schließlich merkte er, dass Cherry neben ihm war.
Gentry war oben unterm Dach bei der Gestalt, die er zu fassen bekommen hatte – einem Makroformknoten, wie er sie nannte -, und hatte kaum hingehört, als Slick ihm von dem Haus und dem ganzen Ort und von Bobby dem Count zu berichten
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