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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Informationsraumes für die Menschheit erläuterte. Bildzeichen, Stationen, künstliche Realitäten … Aber in der Erinnerung verschwamm alles wie diese anfragenden Formen, als Tick beschleunigte.
     
    Die Größe der weißen Makroform war schwer zu erfassen.
    Zunächst war sie Kumiko himmelhoch erschienen, aber als sie das Gebilde jetzt anstarrte, hatte sie den Eindruck, sie könnte es mit der Hand umschließen. Ein glänzender Perlmuttzylinder, nicht größer als eine Schachfigur. Dennoch ließ er die bunten Formen ringsum winzig erscheinen.
    »Sieh an«, sagte Colin munter, »das ist in der Tat sehr sonderbar, nicht wahr? Völlig anomal und absolut einzigartig …«
    »Aber du brauchst dir keine Gedanken darüber zu machen, wie?«, sagte Tick.
    »Nein, wenn es für Kumikos Lage nicht von Belang ist«, pflichtete Colin ihm bei, der aufrecht in dem Bootgebilde stand. »Aber wie kann man da sicher sein?«
    »Du musst versuchen, mit Sally in Verbindung zu treten«, sagte Kumiko ungeduldig. Dieses Ding – die Makroform, die Anomalie – interessierte sie wenig, obwohl Tick und Colin es als Sensation betrachteten.
    »Schau dir das an«, sagte Tick. »Da könnte’ne ganze Welt drinstecken …«
    »Und du weißt nicht, was es ist?« Sie beobachtete Tick; seine Augen hatten den entrückten Ausdruck, der bedeutete, dass seine Hände daheim in Brixton das Deck bearbeiteten.
    »Eine überaus große Datenmenge«, meinte Colin.

    »Ich hab grade versucht, eine Verbindung zu der Konstruktion herzustellen, die sie Finne nennt«, sagte Tick, dessen Blick wieder scharf wurde, mit besorgtem Unterton. »Bin aber nicht durchgekommen. Kam mir so vor, als würde da irgendwas auf der Lauer liegen … Ist wohl das Beste, wenn wir jetzt ausstecken.«
    Ein schwarzer Punkt mit sehr scharfen Konturen auf der Perlmuttrundung …
    »Verdammte Scheiße«, sagte Tick.
    »Unterbrich die Verbindung!«, befahl Colin.
    »Geht nicht!’s hat uns schon …«
    Kumiko sah, wie das blaue Bootgebilde unter ihren Füßen länger wurde und sich zu einem azurblauen Faden streckte, der über den Abgrund hinweg in den runden schwarzen Punkt gesogen wurde. Und dann wurde auch sie zusammen mit Tick und Colin in einem höchst seltsamen Moment zu einem mikrofeinen Strich gedehnt …
     
    … um sich an einem spätherbstlichen Nachmittag im Ueno-Park am stillen Wasser des Shinobazu-Teichs wiederzufinden. Neben ihr, auf einer glatten Bank aus kaltem Karbonlaminat, saß ihre Mutter. Sie war noch schöner, als Kumiko sie in Erinnerung hatte. Ihre Lippen waren voll und rotglänzend, die Konturen mit dem feinsten, dünnsten Pinsel nachgezogen, wie Kumiko wusste. Sie trug ihre schwarze französische Jacke, deren dunkler Pelzkragen ihr Willkommenslächeln umrahmte.
    Kumiko, die mit einem kalten Klumpen der Angst unter dem Herzen neben ihr hockte, konnte sie nur anstarren.
    »Kumi, du Dummerchen«, sagte ihre Mutter. »Hast du gedacht, ich würde dich vergessen oder dich im Stich lassen? Dich dem Londoner Winter und den Gangsterdienern deines Vaters ausliefern?«
    Kumiko betrachtete die vollkommenen, leicht geöffneten Lippen über den weißen Zähnen; Zähne, die vom besten Zahnarzt
in Tokio instand gehalten wurden, wie sie wusste. »Du bist tot«, hörte sie sich sagen.
    »Nein«, erwiderte ihre Mutter lächelnd. »Nicht jetzt. Nicht hier im Ueno-Park. Schau, die Kraniche, Kumi. «
    Aber Kumiko wollte den Kopf nicht wegdrehen.
    »Schau, die Kraniche.«
    »Verpiss dich, du!«, sagte Tick, und Kumiko wirbelte herum und sah ihn. Sein blasses, verzerrtes Gesicht war schweißbedeckt, die fettigen Locken klebten ihm an der Stirn.
    »Ich bin ihre Mutter.«
    »Sie ist nicht deine Mutter, kapiert?« Tick zitterte, sein verbogener Körper bebte, als würde er sich gegen einen schrecklichen Wind stemmen. »Nicht … deine … Mutter.« Unter den Achseln seiner grauen Anzugjacke waren graue Halbmonde. Seine kleinen Fäuste zitterten, als er sich mühsam einen Schritt vorwärtskämpfte.
    »Du bist krank«, sagte Kumikos Mutter in besorgtem Ton. »Du musst dich hinlegen.«
    Tick sank auf die Knie, von einer unsichtbaren Last niedergedrückt. »Hör auf!«, schrie Kumiko.
    Etwas schmetterte Tick mit dem Gesicht auf den pastellfarbenen Beton des Gehwegs.
    »Hör auf!«
    Ticks linker Arm streckte sich im rechten Winkel von der Schulter weg und begann, langsam zu kreisen. Die Hand war immer noch zu einer Faust geballt. Kumiko hörte etwas knacken, Knochen oder Bänder, und Tick schrie

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