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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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sich ein Stück von ihr weg und sah Bobby auf dem Monitor an.
    »Ich arbeite noch dran. Hab eine Borgward-Frachtdrohne aus Newark umgeleitet.«
    Slick löste sich vollends aus Cherrys Armen. »Sitz nicht bloß da!«, brüllte er Gentry an, der zu Slick hochschaute und langsam den Kopf schüttelte. Slick spürte die ersten Anzeichen seines Korsakovs; winzige Erinnerungsfetzen wurden ruckartig unscharf.
    »Der rührt sich nicht mehr vom Fleck«, sagte Bobby. »Er hat die Gestalt gefunden. Jetzt will er nur noch sehen, was dabei rauskommt, was es letztendlich ist. Es sind Leute hierher unterwegs. Freunde, wenn man so will. Die übernehmen das Aleph von euch. In der Zwischenzeit tu ich, was ich kann, um diese Arschlöcher aufzuhalten.«
    »Ich bleib nicht hier und schau zu, wie du stirbst«, sagte Cherry.
    »Verlangt auch niemand von dir. Ich würde euch raten, von hier zu verschwinden. Gebt mir zwanzig Minuten, dann lenk ich sie von euch ab.«
     
    Factory war ihm noch nie so leer vorgekommen.
    Little Bird lag da irgendwo. Slick musste immer wieder an das Gewirr aus Riemen und Knochen denken, das Bird um die Brust hängen hatte, Federn und rostige Aufziehuhren mit stehenden Zeigern, die alle eine andere Zeit anzeigten … Alberner Vorstadthumbug. Aber Bird war nicht mehr unter ihnen. Und ich werd wohl auch nicht hierbleiben, dachte er, als er Cherry
die wacklige Treppe hinunterführte. Ist nicht mehr wie früher. Ihm blieb keine Zeit, die Maschinen wegzubringen; ohne Pritschenwagen und Helfer ging es sowieso nicht. Und wenn er erst mal weg war, würde er wohl auch nicht mehr wiederkommen. In Factory würde es nie mehr so sein wie früher.
    Cherry hatte vier Liter gefiltertes Wasser in einem Plastikkanister, ein Netz birmanische Erdnüsse und fünf einzeln verpackte Portionen gefriergetrocknete Big-Ginza-Suppe. Mehr hatte sie in der Küche nicht finden können. Slick hatte zwei Schlafsäcke, die Taschenlampe und einen Schlosserhammer mit Kugelfinne.
    Es war jetzt still. Nur der Wind auf dem Wellblech und das Schlurfen ihrer Stiefel auf dem Beton.
    Er wusste nicht genau, wohin er selbst gehen würde. Er hatte vor, Cherry zu Marvie zu bringen und dortzulassen. Dann würde er vielleicht zurückkommen, um nachzusehen, was mit Gentry war. Cherry konnte in ein, zwei Tagen eine Mitfahrgelegenheit in eine der Städte im Rostgürtel kriegen. Das wusste sie allerdings nicht; sie wollte nur weg, weg, weg. Schien genauso viel Schiss davor zu haben, Bobby den Count auf seiner Trage krepieren sehen zu müssen, wie vor den Männern draußen. Aber Slick war nicht entgangen, dass es Bobby kaum scherte, ob er starb. Vielleicht glaubte er, er würde dann da drin sein, wie diese 3Jane. Vielleicht war es ihm auch einfach scheißegal; manchmal entwickelten die Leute so eine Haltung.
    Wenn er endgültig von hier verschwinden wollte, dachte er, während er Cherry mit der freien Hand durch die Dunkelheit lotste, dann würde er jetzt noch mal rasch einen letzten Blick auf den Richter, die Hexe, den Schinder und die zwei Schergen werfen. Im Moment war er allerdings gerade dabei, Cherry wegzubringen, aber dann würde er noch mal wiederkommen … Doch noch während er sich das überlegte, wusste er,
dass es Blödsinn war, sie hatten keine Zeit mehr, aber er würde sie jedenfalls rausschaffen …
    »Auf dieser Seite ist’n Loch, ganz unten am Boden«, erklärte er ihr. »Da schlüpfen wir durch. Hoffentlich sieht uns keiner.« Sie drückte seine Hand, während er sie durch die Dunkelheit führte.
    Er tastete die Wand ab, bis er das Loch fand, stopfte die Schlafsäcke durch, steckte sich den Schlosserhammer in den Gürtel, legte sich auf den Rücken und zog sich durch, bis Kopf und Oberkörper draußen waren. Der Himmel war verhangen und nur geringfügig heller als die Dunkelheit in Factory.
    Er glaubte, das leise Brummen von Motoren zu hören, aber dann war es wieder weg.
    Mit Absätzen, Hüften und Schultern zwängte er sich ganz hindurch und rollte sich dann im Schnee auf den Bauch.
    Etwas stieß gegen seinen Fuß: Cherry schob den Wasserkanister heraus. Er langte hin, um ihn zu nehmen, und das rote Glühwürmchen erschien auf seiner Hand. Er zuckte zurück und rollte sich weg, als auch schon die Kugel wie ein Vorschlaghammer in die Fabrikwand schlug.
    Eine weiße Leuchtkugel, über Solitude schwebend. Schwach zu sehen durch die tiefhängenden Wolken. Sie sank langsam von der geschwollenen grauen Flanke der Frachtdrohne herab. Bobbys Ablenkung.

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