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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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vergeblich, sich zu erinnern, wie seine Handlinien aussahen.
    »Jeder hat ein gutes Gedächtnis«, sagte der Finne, ließ die Zigarette fallen und trat sie mit dem Absatz aus. »Aber viele von euch haben keinen Zugang dazu. Künstler meist schon,
wenn sie was taugen. Wenn du diese Konstruktion über die Wirklichkeit legen könntest, über den Laden des Finnen in Lower Manhattan, dann würdest du einen Unterschied sehen, wenn auch vielleicht keinen so großen, wie du meinst. Euer Gedächtnis ist holografisch.« Der Finne zupfte an seinem kleinen Ohr. »Bei mir ist das anders.«
    »Wie meinst du das, holografisch?« Bei dem Wort musste er an Riviera denken.
    »Von allen Darstellungen des menschlichen Gedächtnisses, die ihr entwickelt habt, kommt das holografische Modell der Sache am nächsten, das ist alles. Aber ihr habt nie was damit angefangen, ihr Menschen, meine ich.« Der Finne trat vor, hob seinen stromlinienförmigen Kopf und spähte zu Case hinauf. »Sonst wär das mit mir vielleicht nicht passiert.«
    »Was soll’n das wieder bedeuten?«
    Der Finne zuckte mit den Achseln. Seine zerlumpte Tweedjacke war an den Schultern zu breit und rutschte nicht wieder ganz in die richtige Lage zurück. »Ich will dir ja nur helfen, Case.«
    »Warum?«
    »Weil ich dich brauche.« Die großen, gelben Zähne kamen wieder zum Vorschein. »Und weil du mich brauchst.«
    »Quatsch. Kannst du denn meine Gedanken lesen, Finne?« Er verzog das Gesicht. »Wintermute, meine ich.«
    »Gedanken kann man nicht lesen . Siehst du, du hast immer noch die Denkmuster des gedruckten Worts in dir, obwohl du kaum sehr belesen bist. Ich habe Zugang zu deinem Gedächtnis , aber das ist nicht dasselbe wie dein Denken.« Der Finne griff in das offene Gehäuse eines altertümlichen Fernsehers und zog eine silberschwarze Vakuumröhre heraus. »Siehst du das? Teil meiner DNS sozusagen …« Er warf das Ding in eine dunkle Ecke, und Case hörte, wie es klirrend zerschellte. »Ihr
baut ständig Modelle. Steinkreise. Kathedralen. Orgeln. Rechenmaschinen. Ich hab keine Ahnung, warum ich jetzt hier bin, weißt du das? Aber wenn der Run heut Nacht läuft, habt ihr endlich das Absolute geschafft.«
    »Ich versteh kein Wort.«
    »Ihr, das ist kollektiv gemeint. Deine Gattung.«
    »Du hast die Turing-Bullen umgebracht.«
    Der Finne zuckte mit den Achseln. »Blieb mir nichts anderes übrig. Und dir sollte’s scheißegal sein – die hätten nicht lange gefackelt und dich glatt kaltgemacht. Jedenfalls hab ich dich hergeholt, weil wir uns noch mal unterhalten müssen. Erinnerst du dich noch?« In der Rechten hielt er das verkohlte Wespennest aus Cases Traum. Der Gestank von Benzin hing in dem engen, düsteren Laden. Case taumelte gegen eine Mauer aus Unrat zurück. »Ja, das war ich. Mit dem Hologerät im Fenster. Eine der Erinnerungen, die ich dir abgezapft hab, als ich dich zum ersten Mal plattgemacht hab. Weißt du, warum das wichtig ist?«
    Case schüttelte den Kopf.
    »Weil es am nächsten an das herankommt« – das Nest war irgendwie verschwunden – »was man sich unter Tessier-Ashpool vorzustellen hat. Das menschliche Gegenstück. Straylight ist wie dieses Nest oder war zumindest so gedacht. Ich schätze, jetzt ist dir wohler.«
    »Wohler?«
    »Weil du weißt, wie sie sind. Du hast zeitweise einen Mordshass auf mich entwickelt. Gut so. Aber besser wär’s, wenn du sie hassen würdest. Kommt aufs Gleiche raus.«
    »Hör mal«, sagte Case und trat nach vorne, »die haben mir nie was getan. Im Gegensatz zu dir …« Doch er konnte den Zorn nicht fühlen.
    »Aber T-A hat mich geschaffen. Die Französin, die hat gesagt, du verkaufst deine Gattung.’nen Dämon hat sie mich
genannt.« Der Finne grinste. »Spielt eigentlich keine große Rolle. Irgendwen musst du hassen, bevor das Ding gelaufen ist.« Er wandte sich ab und ging in den hinteren Teil des Ladens. »Nun komm schon, ich zeig dir ein bisschen was von Straylight, wo ich dich grade hier hab.« Er hob einen Zipfel der Decke hoch. Grelles Licht fiel heraus. »Verdammt, Mann, steh nicht so blöd rum!«
    Case folgte ihm und rieb sich das Gesicht.
    »Okay«, sagte der Finne und packte ihn am Ellbogen.
    In einer Staubwolke wurden sie hinter die modrige Wolldecke gezogen, und schon stürzten sie im freien Fall durch einen zylindrischen Korridor aus kanneliertem Mondbeton, der alle zwei Meter mit einem grellen Neonring versehen war.
    »Herr im Himmel!«, rief Case, während er dahinsauste.
    »Das ist der

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