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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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schlaf! Ich bleib wach, wenn du willst. Du mußt schlafen, okay?«
    säuselte sie schlaftrunken. »Schlaf jetzt, okay?«
    Als er aufwachte, war sie weg. Das Feuer war aus, aber es war warm im
    Bunker; Sonnenlicht fiel schräg durch den Eingang und warf ein schiefes,
    goldenes Viereck auf die Seite eines großen Glasfiberbehälters. Das Ding
    war ein Versandcontainer, wie er sie von den Docks in Chiba in Erinnerung hatte. Durch den Spalt in der Seite sah er ein halbes Dutzend goldgelber Pakete. Im Sonnenlicht glänzten sie wie übergroße Butterstücke. Sein Magen krampfte sich vor Hunger zusammen. Er wälzte sich aus dem Nest, ging zum Container und fischte eines der Dinger heraus. Blinzelnd las er
    die kleingedruckte Aufschrift in einem Dutzend Sprachen. NOTRATION,
    PROTEINREICH, »FLEISCH«, TYP AG-8. Darunter eine Nährwertanalyse. Er
    angelte ein zweites Päckchen heraus. »EIER«. »Wenn du den ganzen Scheiß
    fabrizierst«, sagte er, »könntest mal 'ne richtige Mahlzeit rüberreichen, okay?« Mit einem Päckchen in jeder Hand ging er durch die vier Zimmer des Gebäudes. Zwei waren bis auf Sanddünen leer, und im vierten standen
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    drei weitere Container mit Notrationen. »Klar«, sagte er, über die Siegel streichend. »Langer Aufenthalt. Schon kapiert. Sicher...«
    Er durchsuchte das Zimmer mit der Feuerstelle und fand einen Plastik—
    kanister mit Regenwasser, wie er vermutete. An der Wand neben dem
    Nest aus Decken lag ein billiges, rotes Feuerzeug, ein Matrosenmesser mit einem rissigen, grünen Griff und ihr Schal. Er war noch zusammengekno—tet und starr vor Dreck und Schweiß. Mit dem Messer schlitzte er die gelben Päckchen auf, kippte den Inhalt in einen rostigen Tiegel, den er am Herd entdeckte. Er goß etwas Wasser aus dem Kanister dazu, mischte den
    entstehenden Brei mit den Fingern und aß. Es schmeckte kaum wie
    Fleisch. Als der Tiegel leer war, warf er ihn in die Feuerstelle und ging hinaus.
    Später Nachmittag, der Stärke und dem Stand der Sonne nach zu urtei—
    len. Er strampelte die feuchten Nylonschuhe vom Fuß und wunderte sich,
    wie warm der Sand war. Bei Tageslicht hatte der Strand einen silbergrauen Farbton. Der Himmel war wolkenlos, blau. Er marschierte um den Bunker herum und ging dann zum Meer, wobei er seine Jacke in den Sand fallen
    ließ.
    »Weiß nicht, wessen Erinnerungen du diesmal benutzt«, sagte er, als er
    am Wasser angelangt war. Er schälte sich aus seiner Jeans und warf sie in die seichten Wellen. T-Shirt und Unterwäsche folgten hinterher.
    »Was machst du da, Case?«
    Er wandte sich um und sah sie zehn Meter weiter unten am Strand stehen; weißer Schaum umspielte ihre Knöchel. »Hab mich heut' nacht vollge—pißt«, sagte er.
    »Nun, das wirste nicht mehr anziehn wollen. Salzwasser. Wirst wund davon. Ich zeig dir den Teich in den Felsen.« Sie deutete flüchtig hinter sich.
    »Süßwasser.« Der ausgewaschene französische Overall war über den Knien
    abgerissen; die Haut darunter war glatt und braun. Eine Brise strich durch ihre Haare.
    »Hör mal«, sagte er, raffte seine Kleider zusammen und ging zu ihr. »Hab
    'ne Frage an dich. Ich will gar nicht wissen, was du hier machst. Aber was, glaubst du, mache ich hier?« Er blieb stehen; ein nasses, schwarzes Hosenbein klatschte gegen seinen nackten Oberschenkel.
    »Du bist gestern abend gekommen«, sagte sie und lächelte ihn an.
    »Und das genügt dir? Ich bin einfach gekommen?«
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    »Er sagte, daß du kommst«, erklärte sie nasenrümpfend und zuckte die Achseln. »So was weiß er, denke ich.« Sie hob den linken Fuß und rieb sich damit unbeholfen-kindlich das Salz vom ändern Knöchel. Sie lächelte ihn wieder an, diesmal zaghafter. »Und jetzt beantwortest du mir mal was,
    okay?«
    Er nickte.
    »Wie kommt's, daß du überall so braun angemalt bist, bis auf einen Fuß?
    «
    »Und das ist das letzte, woran du dich erinnerst?« Er beobachtete, wie
    sie die Reste des gefriergetrockneten Mischmaschs auf dem rechteckigen
    Stahlboxdeckel zusammenkratzte, der ihr einziger Teller war.
    Sie nickte. Ihre Augen wirkten groß im Feuerschein. »Tut mir leid, Case,
    ehrlich. Lag nur am Shit, schätze ich, und...« Sie hockte sich vor, die Arme über den Knien verschränkt; der Schmerz oder die Erinnerung daran verzerrte momentan ihr Gesicht. »Ich brauchte halt das Geld. Zum Heimfahren, schätze ich, oder... Scheiße«, sagte sie. »Du hast kaum mit mir reden wollen.«
    »Keine Zigaretten da?«
    »Verdammt noch mal, Case,

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