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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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1-Meter-Parabolantenne hochgeschickt,
    die mit Epoxidharz aufs Dach eines schwarzen, gläsernen Bankenturms,
    fast so hoch wie das Sense/Net-Gebäude, aufgebracht worden war.
    Atlanta. Der Erkennungskode war einfach. Von Atlanta nach Boston,
    nach Chicago, nach Denver, jeweils fünf Minuten pro Stadt. Falls es jemand gelänge, Mollys Signal aufzufangen, zu entschlüsseln und per Synthesizer in Sprache umzusetzen, würde der Kode die Moderns verraten. Falls Molly
    länger als zwanzig Minuten im Gebäude bliebe, wäre es höchst unwahrscheinlich, daß sie je wieder herauskäme.
    Case kippte den letzten Rest Kaffee hinunter, legte die E-troden an und
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    kratzte sich durchs schwarze T-Shirt an der Brust. Er hatte nur eine vage Ahnung, was die Panther Moderns vorhatten, um das Wachpersonal von Sense/Net abzulenken. Sein Job war es, dafür zu sorgen, das Invasionsprogramm, das er geschrieben hatte, mit den Systemen von Sense/Net zu koppeln, wenn Molly es brauchen sollte. Er verfolgte den Countdown in
    der Ecke des Bildschirms. Zwei. Eins.
    Er steckte ein und startete sein Programm. »Volles Rohr«, hauchte der
    Verbindungsmann. Seine Stimme war der einzige Laut, als Case in das
    glimmende Eis von Sense/Net tauchte. Gut. Molly checken. Er drückte das
    Simstim und wechselte in ihr Sensorium.
    Der Verzerrer trübte die eingehenden Bildsignale etwas. Sie stand vor
    einer goldgesprenkelten Spiegelwand im riesigen, weißen Foyer des Gebäudes, biß auf einem Kaugummi herum und bewunderte anscheinend ihr Spiegelbild. Abgesehen von der großen Sonnenbrille, die ihre eingesetz—ten Spiegelobjektive verdeckten, gelang es ihr erstaunlich gut, unauffällig zu wirken, als wäre sie nur eine Touristin, die hoffte, Tally Isham zu Gesicht zu bekommen. Sie trug einen pink Plastikregenmantel, ein weißes Netz-Top und eine weitgeschnittene, weiße Hose, wie sie letztes Jahr in Tokio modern waren. Sie grinste öde und schnalzte mit ihrem Kaugummi.
    Er spürte das Heftpflaster auf ihrem Brustkorb, die flachen, kleinen Geräte darunter: Sender, Simstim-Einheit und Verzerrer. Das Halsmikro, das am Nacken klebte, glich in etwa einem schmerzlindernden Rundpflaster. Ihre Hände in den Taschen des pink Mantels vollführten systematisch isometri—sche Übungen. Es dauerte einige Sekunden, bis er erkannte, daß die eigenartige Empfindung an ihren Fingerkuppen von den Klingen herrührte, die ein Stückchen aus-und wieder eingefahren wurden.
    Er schaltete um. Sein Programm hatte das fünfte Tor erreicht. Er verfolgte, wie der Eisbrecher vor seinen Augen Signale auswertete und schwenkte, und war sich dabei kaum bewußt, wie seine Hände über das
    Deck tanzten und geringfügige Korrekturen veranlaßten. Transparente
    Farbschichten schoben sich übereinander wie in einem Trickfilm. Zieh 'ne
    Karte, dachte er. Irgendeine.
    Das Tor huschte vorüber. Er lachte. Das Eis von Sense/Net hatte seine
    Eingabe als routinemäßigen Datentransfer vom Los Angeles-Komplex des
    Konsortiums akzeptiert. Er war drin. Hinter ihm liefen viröse Subprogram—
    me ab und verzahnten sich mit der Kodestruktur des Tors, um die richti—
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    gen Daten von Los Angeles beim Eintreffen abzulenken.
    Er schaltete wieder um. Molly schlenderte um die riesige, kreisförmige
    Empfangstheke ins hintere Foyer.
    0:01:20 blinkte die Anzeige in ihrem Sehnerv.
    Um Mitternacht, synchron mit dem Chip hinter Mollys Auge, hatte der
    Verbindungsmann der Panther Moderns sein »Volles Rohr« durchgegeben.
    Neun Moderns, über zweihundert Meilen im Sprawl verteilt, hatten gleich—
    zeitig von Münztelefonen einen Notruf abgegeben. Jeder Modern gab eine
    knappe Meldung durch, hängte ein und verschwand in der Nacht, Chirur—
    genhandschuhe von den Fingern streifend. Neun verschiedene Polizeire—
    viere und Sicherheitsbehörden erhielten die Information, daß ein unbekanntes Mitglied militanter christlicher Fundamentalisten sich gerade dazu bekannt habe, eine kritische Dosis eines verbotenen, psychoaktiven
    Mittels namens Blau Neun in das Belüftungssystem der Sense/Net-Pyramide eingespeist zu haben. Es hatte sich gezeigt, daß Blau Neun, in Kalifornien als ›Trauriger Engel‹ bekannt, bei 85 Prozent der Versuchspersonen eine akute Paranoia und Mordpsychose auslöste.
    Case schaltete um, als sein Programm sich durch die Tore des Subsy—
    stems fraß, das für die Sicherheit des Forschungsarchivs von Sense/Net
    verantwortlich war. Er fand sich wieder beim Betreten eines

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