Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
öffnete
    den Reißverschluß einer Netztasche, durchwühlte den Inhalt und zog auf—gerollte, transparente Schläuche und ein steril in Folie verpacktes Ding hervor.
    Er nannte es Texas-Katheter. Case war gar nicht wohl dabei.
    Er schob das chinesische Virusprogramm in den Schlitz, hielt inne und
    drückte es dann bis zum Anschlag hinein.
    »Okay«, sagte er. »Das Ding läuft. Hör mal, Maelcum, wenn's echt komisch wird, packst du mich am linken Handgelenk. Das spür ich dann. Tu ansonsten das, was der Hosaka sagt, okay?«
    »Klar, du.« Maelcum zündete sich einen neuen Joint an.
    »Und dreh den Skrubber38 hoch. Ich will nicht, daß der Shit sich auf meine Neurotransmitter schlägt. Hab eh schon 'nen Mordskater.«
    38
    Skrubber = Gaswaschanlage. - Der Übers.
    161
    Maelcum grinste.
    Case steckte wieder ein.
    »Kruzifix«, sagte der Finne. »Guck dir das an!«
    Das chinesische Virus breitete sich ringsum aus. Polychrome Schatten,
    zahllose Lasurschichten zerflossen und formierten sich wieder. Vielgestaltig türmte es sich vor ihnen auf und erfüllte die Leere.
    »Herrjemine«, sagte die Flatline.
    »Werd mal Molly checken«, sagte Case und schaltete auf Simstim.
    Freifall. Ein Gefühl, wie in kristallklarem Wasser zu tauchen. Sie schwebte fallend und steigend durch eine weite Röhre aus Mondbeton, die in 2-Meter-Abständen von weißen Neonringen beleuchtet wurde.
    Die Verbindung war einseitig. Er konnte nicht zu ihr sprechen.
    Er schaltete um.
    »Junge, was für tückische Software. Das überhaupt Heißeste seit Brot in Scheiben. Dieses verdammte Ding ist unsichtbar. Hab gerade zwanzig Sekunden an der kleinen, pink Box gemietet, vier Sprünge links vom T-A-Eis.
    Hab mir angeschaut, was von uns zu sehen ist. Nix. Wir sind nicht da.«
    Case suchte die Matrix rings ums Tessier-Ashpool-Eis ab und fand das
    pink Gebilde, eine übliche kommerzielle Einheit. Per Tastendruck rückte er näher heran.
    »Ist vielleicht defekt.«
    »Möglich, aber das glaub ich nicht. Unser Baby ist immerhin militärisch.
    Und neu. Wird einfach nicht registriert. Falls ja, dann als 'ne Art chinesischer Schleichangriff, aber es ist überhaupt niemand auf uns eingestellt.
    Vielleicht nicht mal die Leute in der Straylight.«
    Case beobachtete die blanke Mauer, die Straylight abschirmte. »Nun«,
    sagte er, »das ist ein Vorteil, richtig?«
    »Vielleicht.« Etwas Gelächterartiges kam von der Konstruktion. Case
    zuckte bei dieser Empfindung zusammen. »Hab unser Kuang 11 noch mal
    durchgecheckt, Alter. Ist wirklich gutmütig, so lange du am Hebel sitzt.
    Echt denkbar freundlich und hilfsbereit. Spricht sogar toll Englisch. Schon was von 'nem langsamen Virus gehört?«
    »Nein.«
    »Ich schon mal. War damals nur so'ne Idee. Und mehr hat's mit dem gu—
    162
    ten, alten Kuang eigentlich nicht auf sich. Es bohrt und frißt sich nicht rein.
    Wir interfacen gewissermaßen mit dem Eis, und zwar so langsam, daß es
    nichts merkt. Die Front der Kuang-Logik pirscht sozusagen ins Ziel und mutiert, wird haargenau wie die Eis-Struktur. Dann koppeln wir an, und das Hauptprogramm kommt zum Zug, argumentiert im Kreis gegen die
    Logik des Eises. Wir spielen Siamesischer Zwilling mit ihnen, bevor sie auch nur im geringsten unruhig werden.« Die Flatline lachte.
    »Wärste nur nicht so verdammt lustig heute, Mann. Deine Lache schlägt
    mir auf den Magen.«
    »Wie traurig«, sagte die Flatline. »Ich alte Leiche brauche mein Lachen.«
    Case drückte den Simstim-Schalter.
    Und krachte durch Schrott. Es roch staubig. Seine Handballen rutschten auf schlüpfrigem Papier ab. Hinter ihm sackte etwas scheppernd zusammen.
    »Ach, komm«, sagte der Finne, »nur nicht so nervös.«
    Case lag mit allen vieren auf einem Haufen vergilbter Magazine. Im dü-
    steren Schein von METRO HOLOGRAFIX leuchteten ihm Mädchen entgegen, eine wehmütige Galaxis süßer, weißer Zähne. Er blieb liegen, bis sein Herzschlag sich beruhigt hatte, und atmete den Geruch der alten Hefte ein.
    »Wintermute«, sagte er.
    »Tja«, meinte der Finne irgendwo hinter ihm, »du sagst es.«
    »Verpiß dich!« Case setzte sich auf und rieb sich die Handgelenke.
    »Komm!« sagte der Finne, der aus einer Art Nische in der Mauer aus
    Schrott trat. »Das ist der bessere Weg für dich, Mann.« Er zog seine Partagas aus einer Jackentasche und zündete sich eine an. Kubanischer Tabak—qualm breitete sich im Laden aus. »Soll ich dir als brennender Busch in der Matrix erscheinen? Es geht dir nichts von dort ab.

Weitere Kostenlose Bücher