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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Trotzdem weiß ich's nicht.
    Aber wenn's vorbei ist, wenn wir nichts falsch machen, dann werd ich Teil von was Größerem, viel Größerem.« Der Finne sah auf und blickte sich in der Matrix um. »Aber die Teile von mir, die jetzt ich sind, werden bleiben.
    Und du wirst deinen Lohn bekommen.«
    Case kämpfte einen irren Drang nieder, sich näher heranzumanövrieren,
    um die Finger um seinen Hals zu legen, genau über dem schlampigen Knoten des rostbraunen Schals zuzudrücken und dem Finnen die Daumen in den Kehlkopf zu treiben.
    »Also, toi-toi-toi«, sagte der Finne. Er wandte sich, die Hände in den Taschen, um und marschierte über den grünen Bogen davon.
    »He, du Arsch«, sagte die Flatline, als der Finne ein Dutzend Schritte zu-rückgelegt hatte. Die Gestalt blieb stehen, wandte sich um. »Was ist'n mit mir? Meinem Lohn?«
    »Den sollst du kriegen«, sagte der Finne.
    »Was soll das bedeuten?« fragte Case, der verfolgte, wie der schmale
    Tweed-Rücken verschwand.
    »Will gelöscht werden«, erklärte die Konstruktion.
    »Sagte ich doch schon, weißt du nicht mehr?«
    Straylight erinnerte Case an die verlassenen Einkaufszentren der frühen
    Morgenstunden, die er als Teenager gekannt hatte, die unbelebten Passagen, die der junge Tag in launige Stille tauchte, in dumpfe Erwartung, eine Spannung, die dich anregte, die Insektenschwärme an den vergitterten Lampen am Eingang verdunkelter Geschäfte zu beobachten. Außerhalb der Sprawl-Grenzen gelegen, wurden diese Plätze nicht mehr vom lärmenden
    24-Stunden-Betrieb des heißen Kerns erreicht. Da war das gleiche Gefühl,
    von den schlafenden Bürgern einer erwachenden Welt umgeben zu sein,
    die er nicht betreten oder kennenlernen wollte, von öder Betriebsamkeit,
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    die einstweilen ruhte, von Nichtigkeit und ständiger Wiederholung, die
    bald Wiederaufleben sollten.
    Molly war nun langsamer geworden, entweder weil sie ahnte, daß sie
    sich dem Ziel näherte, oder aus Rücksicht auf ihr Bein. Der Schmerz bahnte sich allmählich einen Weg durch das Endorphinlabyrinth, und er war sich nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Sie sagte nichts, biß die Zäh-ne zusammen und konzentrierte sich auf gleichmäßiges Atmen. Sie hatte viele Dinge passiert, die Case nicht verstand, aber seine Neugier war weg.
    Da war ein Raum gewesen mit Regalen voller Bücher. Millionen vergilbter
    Blätter, in Leinen oder Leder gebunden. An den Regalen in Abständen
    Schilder mit fortlaufenden Bezeichnungen aus Ziffern und Buchstaben.
    Eine vollgestopfte Galerie, wo Case durch Mollys desinteressierte Augen
    auf eine gebrochene, staubige Glasplatte gestarrt hatte, die - Molly hatte das Messingschildchen automatisch überflogen - bezeichnet war mit: »La marièe mise à nu par ses célibatoires, même.« Sie hatte die Hand danach ausgestreckt und es berührt; ihre falschen Nägel klickten gegen die Lexan-Scheibe, womit das gebrochene Glas beidseitig geschützt war. Da war der Eingang zu Tessier-Ashpools Kältezellen gewesen, wie es schien, Rundtü-
    ren aus schwarzem, chromgefaßtem Glas.
    Sie hatte niemanden mehr gesehen seit den beiden Afrikanern mit ihrer
    Karre, die für Case gewissermaßen eine imaginäre Existenz annahmen. Er
    malte sich aus, wie sie durch die Hallen der Straylight schwebten, wie ihre glatten, glänzenden Kahlköpfe nickten, während der eine noch immer sein lustloses Liedchen summte. Nichts von alledem entsprach der Villa Straylight, wie er sie sich vorgestellt hatte: eine Mischung aus Caths Märchen-schloß und dem von unterschwelligen Kindheitsträumen geprägten Heilig—tum des Yakuza.
    19:02:18.
    Anderthalb Stunden.
    »Case«, sagte sie, »tu mir 'nen Gefallen!« Steif ließ sie sich auf einem Stapel polierter, mit einer rauhen Schutzschicht aus klarem Plastik versehener Stahlplatten nieder. Sie stocherte mit den Klingen, die an Daumen und Zeigefinger hervorglitten, an einem Riß im Plastik der obersten Platte her-um. »Das Bein ist noch nicht heil, weißt du? Hab nicht mit so'ner Kletterpartie gerechnet, und das Endorphin hilft nicht mehr. Gibt also vielleicht -
    nur vielleicht, klar? - Probleme hier. Folgendermaßen, wenn ich hier vor Ri-199
    viera draufgehe« - und sie streckte das Bein aus und knetete den Oberschenkel durch das Modern-Polykarbonat und Pariser Leder, »will ich, daß du's ihm sagst. Sag ihm, daß ich's war. Verstanden? Sag einfach, es war
    Molly. Er weiß dann Bescheid. Okay?« Sie sah sich im leeren Korridor mit
    den blanken Wänden um. Der

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