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Neva

Neva

Titel: Neva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Grant
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. Das war eine der Abkürzungen, die ich in Nicolines Akte gesehen habe.
    »Fass das nicht an!« Er reißt mir den Ordner aus der Hand. Seine Stimme ist unnötig laut. Ich taumele zurück, um Abstand zwischen uns zu bringen.
    »Entschuldige. Ich wollte bloß …« Jetzt will ich nur hier raus.
    Sein Stirnrunzeln verschwindet wieder. »Verzeih mir, Neva. Ich komme mir ein bisschen hilflos vor ohne …« Er verstaut den FMZ -Ordner in einer Schublade. »Ich bearbeite vertrauliche Informationen, und du hast nicht die nötige Sicherheitsfreigabe.«
    »Und wie kriege ich die?« Ich muss unbedingt wissen, was in dieser Akte steht. Und was es mit Dads vielen anderen Geheimnissen auf sich hat.
    »Gar nicht. Du kannst sie nicht kriegen.« Er schiebt die Papiere und Mappen vor sich zusammen und stößt dabei einen Stapel um. Mit einem Satz bin ich am Tisch und helfe ihm, die Akten aufzusammeln.
    »Was ist ein Frauen-Motivationszentrum?« Ich tue so, als hätte ich es gerade erst auf einem der Zettel gelesen.
    Bevor ich weiß, wie mir geschieht, rupft er mir die Papiere aus den Händen. »Das braucht dich nicht zu interessieren.«
    »Ich könnte doch die Sicherheitsfreigabe beantragen. Dann kann ich dir eine bessere Hilfe sein.«
Und die Vermissten finden.
    Er betrachtet mich einen Moment lang. »Nicht mit deiner Vorgeschichte. Du durftest hier nur deshalb eingestellt werden, weil ich versprochen habe, dass Effie …« Er hält inne und räuspert sich, als müsse er jede Erinnerung an sie loswerden. »Dass wir ein Auge auf dich haben werden. Ich musste ziemlich viele Leute überreden, damit man dich hierher schickt anstatt …« Wieder räuspert er sich.
    Ich würde das Ende des Satzes zu gerne hören. Die Graffiti-Aktion und mein Verhör scheinen eine kleine Ewigkeit zurückzuliegen. Ich fühle mich hilflos.
    »Das ist alles, Neva.«
     
    Dad schließt sich für den Rest des Nachmittags in sein Büro ein. Um Punkt fünf Uhr gehe ich ohne ihn. Von einer Telefonzelle aus rufe ich Sanna an. Ich sage ihr, dass sie alle zusammentrommeln soll und ich gleich vorbeikomme. Wir müssen dringend etwas unternehmen.
    Was ist mit Nicoline und Effie passiert? Warum hat mein Vater ein Geheimzimmer? Ich fühle mich wie ein Goldfisch, der in seinem kleinen Glas immer nur im Kreis schwimmen kann. Sanna antwortet, dass wir uns besser an »unserer Stelle« treffen sollen. Das ist der Code für den Ort, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Und sie hat natürlich recht. Bei ihr zu Hause könnten ihre patriotischen Pflegeeltern an der Tür lauschen.
    Der Spielplatz liegt verlassen da, aber Sanna wartet bereits. Ich höre das Quietschen des Karussells, das sich langsam dreht. Drei Schaukeln hängen reglos und exakt parallel nebeneinander. Die Rutsche erinnert mich an eine ausgestreckte Zunge. Als ich Sanna zum ersten Mal gesehen habe, spielte sie auf dem Karussell. Sie hielt sich an einer der Stangen fest, schob das Gerät an, so schnell sie konnte, und sprang dann auf. Sobald das Tempo nachließ, hüpfte sie herunter und rannte von neuem. Ihr Schwung und ihre Entschlossenheit schreckten alle anderen Kinder ab. Ich beobachtete sie eine Weile, bis ich ihren Rhythmus verstanden hatte, und sprang auf, als das Karussell das nächste Mal langsamer wurde. »Was machst du denn da?«, fragte ich, während sie mich ansah, als wäre ich diejenige von uns beiden mit den schmutzigen nackten Füßen, dem Schlamm im Gesicht, dem zerrissenen Rock und den vier struppigen Zöpfen, aus denen sich widerspenstige Strähnen gelöst hatten. Ich rutschte in die Mitte des Karussells, da die Fliehkraft dort nicht so stark wirkte.
    »Mich drehen«, gab sie zurück.
    »Und warum?« Ich bereitete mich innerlich vor, als sie wieder zu rennen begann.
    »Weil das
Wahnsinn
ist.« Sie hüpfte auf, klammerte sich fest und ließ sich mitreißen.
    »Mir wird schwindelig davon.« In der Mitte spürte ich nur die enge Kreisbewegung.
    »Genau«, rief sie und sprang ab. »Ich mag das.« Lachend ließ sie sich ins Gras fallen. Ich wartete, bis das Karussell zum Stehen gekommen war, stieg herunter und ging zu ihr.
    »Leg dich hin und mach die Augen zu.« Sie klopfte aufs Gras neben sich. Sie hatte keine Ahnung, wer mein Dad war, und sie störte sich nicht daran, dass die anderen Kids Abstand zu mir hielten.
    Ich legte mich hin und schloss die Augen. Es fühlte sich an wie ein Rausch, ein wilder Schwindel, aber nicht das Karussell hatte ihn in mir erzeugt. Es war Sannas

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