Neva
da?«
Ich fahre zusammen.
»Effie«, sage ich und schlage den Ordner zu.
Sie scheucht mich von ihrem Platz. »Du solltest das kopieren, nicht lesen.« Sie rafft den Ordner an sich und überprüft den Inhalt. Wahrscheinlich, um sich zu vergewissern, dass ich die Reihenfolge nicht durcheinandergebracht oder vielleicht sogar eine Seite ausgelassen habe. »Dr. Adams wird die Unterlagen bald haben wollen.«
»Dad … Dr. Adams«, berichtige ich mich hastig. »Er ist nicht einmal in seinem Büro.«
»Unsinn«, gibt sie zurück.
Hallo? Kann sie durch Wände sehen?
Sie klingt so überzeugt, dass ich aufstehe und nach dem Türknauf greife.
»Da hast du nichts zu suchen!« Effie drängt sich zwischen mich und die Tür. »Du darfst nur mit ausdrücklicher Erlaubnis von Dr. Adams in dieses Zimmer. Setz dich hin«, faucht sie mich an und deutet auf meinen Stuhl. Ich gehorche, aber innerlich koche ich. Ich habe keine Lust, wie ein Hund herumgescheucht zu werden.
Effie klopft zweimal und betritt dann Dads Büro. Ich schleiche mich zur Tür und spähe hinein. Dad sitzt nicht an seinem Platz.
Hab ich doch gesagt, Frau Besserwisserin.
Als Effie den Ordner auf den Tisch legt, bemerke ich etwas am anderen Ende des Raumes. Dad scheint aus dem Bücherregal zu kommen! Ich blinzele und schaue genauer hin. Er betastet die Wand, ein Teil des Regals setzt sich in Bewegung und schließt eine Lücke. Eine Geheimtür!
Ich spurte zu meinem Platz zurück. Durch die offene Tür sehe ich Effie die Papiere auf seinem Tisch zurechtrücken. Sie kann nicht mitbekommen haben, dass Dad wie durch Zauberhand erschienen ist. Dass sie sich plötzlich etwas gerader aufrichtet, beweist mir jedoch, dass sie seine Gegenwart spürt. Nun verlässt sie das Büro und zieht die Tür fest zu.
Als sei nichts gewesen, setzt sie sich an ihren Platz. Und zieht die Tastatur einen Zentimeter näher an sich heran. »Warst du an meinem Computer?« Es ist keine echte Frage, sondern klingt nach einer Anschuldigung.
Ich will den Mund aufmachen, um zu leugnen, aber Effie hält abwehrend eine Hand hoch. »Spar dir deine Lügen.« Energisch hämmert sie auf die Tasten ein, bis der Bildschirm schwarz wird. »Wag es ja nie wieder«, presst sie hervor, und sie ist so wütend, dass ihre Stimme bebt. »Wag es ja nie wieder, meinen Computer ohne besondere Anweisung zu benutzen. Haben wir uns verstanden?«
Ich nicke. Ein paar Haare haben sich aus dem strengen Knoten gelöst. Sie streicht sie zurück, blickt zu Dads Büro und senkt die Stimme: »Deinem Vater erzählen wir nichts von diesem kleinen Regelverstoß.«
Ich kann es kaum fassen. Aber dann wird mir klar, dass sie es sicher nicht für mich tut. Wahrscheinlich bekommt sie ebenso Ärger, wenn es jemand herausfindet.
»Sieh zu, dass das nicht noch einmal vorkommt.« Plötzlich sieht sie mich an, und mir kommt es vor, als täte sie es zum ersten Mal, seit ich hier zu arbeiten begonnen habe. Die harten Linien auf ihrer Stirn glätten sich. »Neva, es ist nicht gut, zu viel zu wissen.«
Wovon spricht sie? Ich habe es satt, überall auf Geheimnisse zu stoßen und im Dunkeln zu tappen. Ich will endlich Bescheid wissen.
»Sobald man etwas weiß, gibt es keinen Weg zurück zur Unwissenheit.« Damit wendet sie sich ihrem Monitor zu und räuspert sich. »Worauf wartest du?«, fragt sie, und jede Freundlichkeit ist aus ihrer Stimme verschwunden. »Die Arbeit erledigt sich nicht von allein.«
Dad und ich fahren schweigend nach Hause. Ich würde ihn gerne so vieles fragen, aber ich erinnere mich an Effies Worte: dass man nie wieder zur Unwissenheit zurückkehren kann.
Sobald der Wagen vor unserem Haus hält, springe ich hinaus.
»Wohin willst du denn?«, ruft er mir nach. »Deine Mom hat bestimmt schon das Essen fertig.«
»Ich muss mich bewegen«, schreie ich zurück.
Zuerst laufe ich, dann jogge ich, und schließlich renne ich, als sei der Teufel hinter mir her. Meine Lungen schmerzen, meine Augen brennen, Schweiß rinnt mir über die Stirn und in meine Augen. Ich weiß, was ich tun muss.
Vor Nicolines Haus bleibe ich stehen – zumindest ist das die Adresse, die ich in der RegNet-Datei gefunden habe. Das Backsteinhaus ist klein, die Läden sind geschlossen. Ich hätte es für unbewohnt gehalten, wenn nicht Licht durch die Bretter scheinen würde.
Bevor ich den Mut verliere, klopfe ich an die Tür. Sobald meine Knöchel auf das Holz treffen, will ich davonlaufen. Dennoch zwinge ich mich zu bleiben. Zwei Worte
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