Neva
Gesicht. Ich stelle mir vor, wie er mit seinen Liebkosungen alle Fältchen, Pickel und Schönheitsfehler verschwinden lässt. »Okay, das war’s.« Seine Wärme ist weg. »Ich gehe mal ins Bad, um mich sauber zu machen. Entspann dich ein bisschen. Bin gleich wieder da.«
Gedanken an Braydon durchdringen mein Bewusstsein wie lange dünne Nadeln, und ich versuche, sie wieder hinauszuschieben. Ich sitze hier, bin maskiert und kann nicht weglaufen. Schließlich lasse ich mich in wattige Schwärze sinken.
»Neva. Neva.« Braydon flüstert mir ins Ohr. Ich muss eingeschlafen sein. Ich bewege mich im Sessel, spüre, wie mein Körper erwacht. »Alles okay mit dir?«
Ich nicke.
»Der Gips ist getrocknet, aber ich muss noch ein, zwei Dinge machen. Es dauert nicht lange.« Ich spüre einen leichten Druck auf meinem Gesicht und rieche Farbe. »Bleib bitte ganz ruhig sitzen«, weist er mich an.
Das tue ich. Ich bin noch nicht dazu bereit, in mein Leben zurückzukehren.
»Okay«, sagt er nach wenigen Minuten. »Ich bin jetzt so weit, die Maske abzunehmen.«
Ich auch.
Mit einem Finger fährt er am Rand der Maske entlang und hebt sie langsam von meinem Gesicht ab. Es kribbelt, und es zupft an meiner Haut, aber sie löst sich in einem Stück. »Mach die Augen ganz vorsichtig auf.«
Ich ziehe meine Augenbrauen hoch und öffne behutsam die Lider.
»Willst du mal sehen?«, fragt er.
Ich nicke.
Er dreht die Maske um und hält sie an den Rändern hoch. Das Weiß ist einem blassen Blau gewichen; er hat einen überaus zarten Farbton gewählt. Darüber hinaus hat er nur einen einzigen künstlerischen Touch hinzugefügt: eine Schneeflocke in Form einer Träne.
»Was denkst du?«, will er wissen.
Ich nehme sie ihm ab. »Perfekt.« Ich betrachte es, dieses Gesicht, das ich so selten sehe. Die Rundung meiner Wangen, die Wölbung meiner Lippen. Die Linie der Nase. Mein Kinn. Ich erkenne mich nicht. »Warum die Schneeflocke? Wegen meiner Kette?«, frage ich und betaste den Anhänger.
Er starrt auf meine Hand. »Dein Name – Neva. Das heißt doch Schnee, oder? Und so sehe ich dich. So zart und einzigartig wie eine Schneeflocke.« Er hebt die Hand und berührt mein Gesicht.
»Ich wasche mir dieses Zeug besser ab.« Damit schiebe ich mich an ihm vorbei. Sanna schläft auf seinem Bett und schnarcht leise. Ihre Gliedmaßen hat sie so seltsam angewinkelt, dass ich an eine Marionette denken muss, der man die Fäden abgeschnitten hat. Das schlechte Gewissen kehrt mit Macht zurück. Ich hatte vergessen, dass sie da ist.
Ich husche ins Bad und wasche mir das Gesicht häufiger als notwendig. Als ich genug Mut gesammelt habe, kehre ich ins Schlafzimmer zurück. Die untergehende Sonne wirft lange Schatten über den Boden.
Er legt die Maske auf ein Gestell neben dem Bett. »Sie muss erst komplett trocknen«, sagt er, als er mich ertappt, wie ich ihn anstarre.
»Ich muss gehen«, murmele ich und werfe einen Blick zu Sanna, die sich umgedreht und einen Zipfel der glänzenden purpurfarbenen Überdecke über sich gezogen hat.
»Bleib.« Er nähert sich mir.
Ich muss weg von ihm. Ich renne die Treppe hinunter und durch die Eingangstür hinaus in die kühle Abendluft.
Er läuft mir nach, packt meinen Arm und zieht mich herum, so dass ich ihn ansehen muss. Wir ringen beide nach Atem. »Du hast mir gefehlt.«
Gott, er hat mir auch gefehlt.
Prüfend sieht er mir in die Augen. Ich bin hilflos und hoffe inständig, dass er Stärke beweist und sich abwendet.
»Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht«, sage ich. Ich kann ihn nicht verlassen, und ich kann nicht bleiben.
»So etwas habe ich noch nie empfunden«, erwidert er leise und spricht damit aus, was ich denke.
Und plötzlich spüre ich seine Lippen auf meinen. Wir drängen uns aneinander. Ich würde am liebsten in ihn hineinschlüpfen; ich kann ihm nicht nah genug sein. Die Welt um mich herum versinkt.
Zuerst trennen sich unsere Lippen. Unsere Gesichter rücken voneinander ab. Die Luft bahnt sich einen winzigen Pfad zwischen uns hindurch. Unsere Blicke sind die Letzten, die von dieser Umarmung lassen.
»Wie könnt ihr nur?« Die Stimme zerschneidet das Band zwischen uns mit einem einzigen raschen Hieb.
Sanna.
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19 . Kapitel
I ch bin aus glühender Hitze direkt in Eiswasser gestoßen worden. Ich mache den Mund auf, kann jedoch nicht sprechen. In meinem Kopf dreht sich noch immer alles von Braydons Kuss. Sannas Miene reißt mich wieder in die Gegenwart zurück. Ich sehe
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